‚Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt so, wie es ist.‘ Diese Bauernregel unterstreicht in selbstironischer Art und Weise, dass man es damit vielleicht nicht so ernst nehmen sollte. Sicherlich gibt es wetterbezogene Weisheiten, die hier und da als Orientierungshilfen dienen können. Aber mehr eben nicht. Die Frage ist: Wo hört Weisheit auf und fängt Aberglaube an? Auch in der Börsenwelt gibt es unterschiedliche Weisheiten. Eine der bekanntesten ist folgende: ‘Sell in May and go away – but remember to come back in September’. Dahinter steckt der auffordernde Hinweis, seine Aktien im Mai zu verkaufen und erst fünf Monate später wieder einzusteigen.  


 Was steckt dahinter?


Für diese Börsenweisheit gibt es natürlich eine Erklärung. Der Aktienhandel in Deutschland (damals Preußen) ist seit über 180 Jahren rechtlich legitimiert. Auch in anderen westeuropäischen Staaten und in den USA entstanden Börsen zur Zeit der Industrialisierung, was wiederum den Handel mit Aktien forcierte. Große Ereignisse wie der Aktienboom in Deutschland in den Gründerzeitjahren und der große Börsenkrach 1929 an der Wall Street in New York prägten den Aktienhandel und auch die gesamte Weltwirtschaft. Bei einem so langen Zeitraum entstehen Weisheiten – Sprüche, Ideen, die in Umlauf kommen und immer wieder aufgerufen werden. Auch der hier erwähnte saisonspezifische Spruch ist irgendwann entstanden und nimmt Bezug zum Zustand der Börsen in den Sommermonaten: urlaubsbedingt ist wenig los, es ist eine nachrichtenarme Zeit, Dividendenprognosen fehlen und generell dämpfen die hohen Temperaturen die Euphorie. Aus diesem Grund würden die Wintermonate von Oktober bis April ertragsreicher sein. Doch was ist wirklich dran?


Was sagt die Statistik?


‘Sell in May and go away – but remember to come back in September’ – der Spruch reimt sich nicht nur gut. Es gilt als geflügeltes Wort und zählt neben vielen anderen zu den bekanntesten Börsenweisheiten. Laut Wirtschaftswoche erschien der Spruch zum ersten Mal in der Financial Times im Jahre 1935 und wurde schon damals als althergebracht bezeichnet. In vielen Auswertungen schneiden tatsächlich die Sommermonate schlechter ab die restlichen Monate des Jahres. Doch die Börsenwelt hat sich verändert. Laut Börse Frankfurt gibt es heutzutage wesentlich mehr Akteure auf dem „Börsenspielfeld“ mit unberechenbaren Anlagestrategien. Zudem wäre die Politik zum eigentlichen Spielmacher lanciert: „Und so hat ausgerechnet im Sommerloch 2015 die Lösung der Griechenland-Krise dem DAX ein Plus von 20 Prozent beschert.“ Würde man die Börsenweisheit einer historischen Überprüfung für die vergangenen 30 Jahre unterziehen, hätte sie bezogen auf den DAX 17 Mal funktioniert und 13 Mal versagt. So würde es für den Privatanleger keinen Sinn machen, auf diesen saisonalen Börsenkalauer zu setzen. Die saisonal systematisch richtigen Ein- und Ausstiegszeitpunkte gäbe es offensichtlich nicht. Ansonsten gäbe es an der Börse nur noch Millionäre.


Auch der Branchenverband BVI weist darauf hin, dass es sich für Sparer nicht empfiehlt, ihre Anlageentscheidung nach der Jahreszeit auszurichten: „Wer ein kleines Vermögen aufbauen möchte oder für die Altersvorsorge spart, sollte vielmehr eine langfristige Strategie etwa über einen Fondssparplan festlegen und diese dann konsequent verfolgen. Dann profitiert er auch vom Zinseszinseffekt.“