China gilt in der gängigen Wahrnehmung immer noch als billiger Produktionsstandort, quasi als Werkbank für die entwickelten Industrieländer. Dass diese Einschätzung als überholt angesehen werden sollte, fasst der Investmentmanager Alliance Bernstein in einem aktuellen Marktkommentar zur wachsenden Markenpower in China zusammen. Denn Marken, so die Kapitalmarktexperten, seien grundsätzlich der Schlüssel zu dauerhaftem Geschäftserfolg und eröffneten signifikante Wettbewerbsvorteile. Anleger sollten daher nicht nur kurzfristige Finanzdaten, sondern auch den immateriellen Wert von starken Marken in ihre Entscheidungen einbeziehen. In China – allein aufgrund der Bevölkerungszahl mit wachsender Mittelschicht ein gigantischer Markt – sei zudem verstärkt zu beobachten, dass die Verbraucher ihre heimischen Marken der ausländischen Konkurrenz vorzögen.


Chinas Markenwelt überflügelt westliche Traditionsmarken


Dass an chinesischen Marken kaum noch ein Weg vorbeiführt, belegt laut Alliance Bernstein eine Studie des britischen Medien- und Kommunikationsunternehmens WPP: Demnach befinden sich bereits 15 chinesische Unternehmen unter den führenden 100 Marken weltweit. Die chinesischen Internetkonzerne Alibaba und Tencent sind sogar in der Top 10 gelistet. Welche Stärke hinter diesen Namen steckt, zeigt sich auch am bezifferten Markenwert: Der Technologieriese Tencent kommt auf einen Wert von 178,8 Milliarden US-Dollar und ist damit wertvoller als die drei westlichen Top-Marken Coca-Cola, Starbucks und Disney zusammen, welche insgesamt einen Markenwert von „nur“ 176,3 Milliarden US-Dollar aufweisen (Quelle: Kantar Millward Brown and WPP; 2018 BrandZ Top 100 Most Valuable Global Brands).


Weiter heißt es: „Seit vor zwölf Jahren zum ersten Mal eine chinesische Marke in der Liste auftauchte, ist der Wert der chinesischen Marken in den Top 100 um das Vierzehnfache gestiegen, weitaus schneller als Marken aus den Industrieländern. Und heute machen chinesische Marken 14 Prozent des Werts der 100 führenden Marken der Welt aus.“


Für Anleger eröffnet dieser Trend nach Einschätzung von Alliance Bernstein interessante Chancen. Schließlich hätten starke Marken den globalen Aktienindex MSCI World laut WPP in erheblichem Maße übertroffen. „Zudem lehrt uns unsere Erfahrung als Growth-Anleger in Schwellenländern, dass die Identifizierung von Unternehmen, die ihr Geschäft durch dauerhafte Wettbewerbsvorteile sichern können, der Schlüssel zum Anlageerfolg ist. Starke Marken tun genau das“, so die Experten.  


Smartphones, Onlinehandel, Alkohol, Haushaltsgeräte: China holt rasant auf


Ein Blick auf den umkämpften Smartphone-Markt verdeutlicht die neue Markenpower. So entfiel noch 2014 die Marktführerschaft in China auf den koreanischen Konzern Samsung mit einem Anteil von 14 Prozent. Doch das Bild hat sich seitdem gewandelt: Chinesische Unternehmen wie Huawei Technologies, OPPO oder Vivo haben die Koreaner in Summe mit einem Marktanteil von 69 Prozent deutlich überholt – Samsungs Anteil schrumpfte währenddessen auf drei Prozent. Die Gründe für diese Verschiebung sehen die Autoren darin, dass die chinesischen Hersteller ähnliche Produkte für wesentlich weniger Geld anbieten und darüber hinaus auch die heimischen Verbraucher besser verstehen. So erfüllten die chinesischen Smartphone-Hersteller etwa den Wunsch ihrer selfieverliebten Landsleute nach höher auflösenden Frontalkameras und größerer Farbdesignauswahl für die Geräte.


Auch im Onlinehandel dominieren in China mittlerweile heimische Unternehmen. So kontrolliert Alibaba über 60 Prozent des Online-Endkundenhandels. „Der scheidende Alibaba-Chef Jack Ma sagte einmal, dass das Unternehmen deshalb so erfolgreich sei, weil es wuchs, als die Kundengewinnung billig war. Heute müsste jeglicher neue Konkurrent Unsummen ausgeben, um eine Kundenbasis aufzubauen. Alibaba führt seine Kunden scheinbar mühelos durch die virtuellen Eingangstüren und finanziert damit die Expansion in Bereichen wie herkömmlichem Einzelhandel, Zahlungsverkehr und Cloud-Dienste“, fasst Alliance Bernstein die Expansionskraft des Internetgiganten zusammen.  


Und sogar bei den Spirituosenherstellern dominiert mit Kweichow Moutai ein lokaler Anbieter. Moutai weist demnach eine Marktkapitalisierung von 128 Milliarden US-Dollar auf und ist damit weltweit die Nummer 1 – weit vor Diageo mit 90 Milliarden. Auch hier punktet das chinesische Unternehmen durch geringe Werbeausgaben: Bei einem geschätzten Markenwert von 32 Milliarden US-Dollar gebe Moutai nur fünf Prozent des Umsatzes für Werbung aus, weitaus weniger als die westliche Konkurrenz. Und die Profitmarge von 54 Prozent übertreffe Diageo um mehr als das Doppelte, so die Autoren.  


Doch damit sei die chinesische Markenrevolution noch längst nicht abgeschlossen: Auch im Bereich Haushaltsgeräte hätten chinesische Produzenten wie Midea und Haier in Qualität und Forschung investiert und somit Marktanteile hinzugewonnen. Chinesische Marken machten bereits im Jahr 2016 etwa 85 Prozent des Kühlschrank-Markts und 70 Prozent des Klimaanlagen-Markts aus.


Marken werden auch für Anleger immer wichtiger


Allerdings, so die Investmentexperten: „Außerhalb Chinas halten wir die Markenstärke dieser Unternehmen für unterbewertet. Vielleicht, weil wir Marken erleben müssen, um sie in vollem Umfang zu schätzen.“ So habe es immerhin Jahre gedauert, bis sich zum Beispiel Samsung zur Top-Marke entwickelt hätte und auch in den Fokus der Anleger geraten ist. Diesen Weg zu besserer Qualität und besserem Service hätten viele chinesische Unternehmen eingeschlagen, auch fernab vom Blickfeld ausländischer Investoren. „Sie werden daher möglicherweise nicht wirklich erkennen können, wie die Markenstärke zur Preismacht beiträgt und die Kosten für die Kundenakquisition senkt. Beide Faktoren wirken sich positiv auf die Margen aus. Und diese Attribute verhelfen zu einem nachhaltigen Gewinnwachstum, was wiederum die Aktienerträge unterstützt“, heißt es in der Experteneinschätzung.  „Wir glauben, dass chinesische Marken angesichts ihres ertragssteigernden Potenzials unterbewertet sind. Bei Verbrauchsgütern liegen die Bewertungen der zehn größten chinesischen Unternehmen um etwa elf Prozent höher als jene der Vergleichsunternehmen aus Industrieländern. Die prognostizierte Wachstumsrate der chinesischen Unternehmen ist jedoch mehr als doppelt so hoch.“


Der Chartvergleich zeigt beispielhaft vier China-Aktienfonds. Weitere China-Fonds finden Sie über unsere Suche.