Mit Ausbruch der Finanzmarktkrise 2008 schlitterten die offenen Immobilienfonds in die größte Krise ihrer Geschichte. Viele Fonds wurden geschlossen und zwangsliquidiert. Die Werte, mit denen die Immobilien in den Büchern der Fonds standen, konnten am freien Markt oft nicht realisiert werden. Heute hat sich das Bild komplett gewendet. Die Fonds erzielen beim Verkauf häufig Marktpreise, die über den zuletzt ermittelten Verkehrswerten liegen.


 


Aktuelles Beispiel


Patrizia GrundInvest hat kürzlich eine Immobilie in Hofheim auf Basis eines Bewertungsgutachtens für 46,45 Millionen Euro gekauft, rund eine halbe Million Euro unter dem Gutachterwert. Die Immobile stammt aus dem Portfolio des offenen Immobilienfonds UniImmo: Europa und wurde dort gemäß dem aktuellen Halbjahresbericht zum 31. März 2018 mit 39,5 Millionen Euro bewertet. Die Gutachtenwerte weichen also deutlich voneinander ab. Auf Nachfrage hat Patrizia mitgeteilt, dass der Gutachterwert des offenen Immobilienfonds nicht nachvollziehbar sei. Im Rahmen der Ankaufsprüfung sei für das Anlageobjekt gemäß den Vorschriften des KAGB, insbesondere des § 261 Abs. 5 KAGB im Auftrag der Kapitalverwaltungsgesellschaft von einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ein Bewertungsgutachten erstellt worden, das einen ermittelten Verkehrswert von 47 Millionen Euro ausweist. Die Patrizia verwaltet über 430 Einzelhandelsimmobilien in Deutschland mit einer Einzelhandelsfläche von über 1,7 Millionen Euro Quadratmeter. Vor diesem Erfahrungshintergrund und unter Berücksichtigung des aktuellen Marktumfelds halte man den Gutachterwert für plausibel.
Die Stellungnahme von Patrizia bringt wenig Licht ins Dunkel. Grund genug für FondsDISCOUNT.de, sich mit der Bewertung von Immobilien näher zu beschäftigen.


 


1. Grundlagen


Bei offenen und geschlossenen Immobilienfonds gibt es zwei Anlässe, zu denen Immobilien bewertet werden müssen.


 


Bewertung von Immobilien vor Ankauf


Eine Immobilie darf für einen offenen oder geschlossenen Fonds nur erworben werden, wenn sie zuvor von mindestens einem Bewerter, der nicht zugleich die regelmäßige Bewertung vornimmt, bewertet wurde und der Kaufpreis den ermittelten Wert nicht oder nur unwesentlich übersteigt. Bei Immobilien, deren Wert 50 Millionen Euro übersteigt, muss die Bewertung durch zwei voneinander unabhängige Bewerter erfolgen.


 


Laufende Bewertung von Immobilien


Alle Immobilien eines offenen Publikumsfonds werden regelmäßig vierteljährlich bewertet. Die regelmäßige Bewertung („Regelbewertung“) der Immobilien ist stets von zwei externen, voneinander unabhängigen Bewertern, die die Bewertung unabhängig voneinander vornehmen, durchzuführen. Bei geschlossenen Fonds erfolgen diese Bewertungen extern oder intern nur einmal im Jahr.


2. Bewertungsmethodik


Der Verkehrswert einer Renditeimmobilie wird im Regelfall durch den Ertragswert der Immobilie bestimmt, der anhand eines im Markt anerkannten Ertragswertverfahrens zu ermitteln ist. In der Bewertungspraxis geschieht dies unter Anlehnung an das allgemeine Ertragswertverfahren nach der Immobilienwertermittlungsverordnung („ImmowertV“). Bei diesem Verfahren kommt es maßgeblich auf die zum Bewertungsstichtag marktüblich erzielbaren Mieterträge an, die um die marktüblichen Bewirtschaftungskosten einschließlich der Instandhaltungs- sowie der Verwaltungskosten und das kalkulatorische Mietausfallwagnis gekürzt werden. Der Ertragswert ergibt sich aus dem so errechneten Nettoertrag, der mit einem Faktor multipliziert wird, der eine marktübliche Verzinsung für die zu bewertende Immobilie unter Einbeziehung von Lage, Gebäudezustand und Restnutzungsdauer berücksichtigt. Besonderen, den Wert einer Immobilie beeinflussenden Faktoren können durch Zu- oder Abschläge Rechnung getragen werden.


 


3. Bewertungsergebnisse und deren Interpretation


Vergleicht man die einzelnen Bewertungen, ergeben sich folgende Auffälligkeiten:


 


a) Bei offenen Immobilienfonds weichen die im Rahmen der Bestandbewertung ermittelten Verkehrswerte der beiden Regelbewerter für eine Immobilie selten erheblich voneinander ab.


Nach Ansicht von Dr. Gernot Archner, Geschäftsführer Bundesverband der Immobilien-Investment-Sachverständigen e.V. (BIIS), ist das wenig verwunderlich. Beide Gutachter haben den gleichen Informationsstand hinsichtlich der Auskünfte des Asset- und Property Managers und der relevanten Objektdaten. Zudem verfügen beide Gutachter in der Regel auch über die gleichen Marktdaten. Ferner seien, so Archner, hohe Abweichungen letztlich auch nicht erwünscht, da sie ein Warnzeichen dafür sind, dass etwas mit dem Objekt oder dem Standort bzw. deren Einschätzung durch externe Fachleute nicht stimmt. Liegen die Gutachten im Einzelfall sehr weit auseinander, kommt es deshalb zu einem „Konflikt-Management“. Die Gutachter werden über die deutlich abweichenden Annahmen und deren Begründungen gegenseitig informiert und können – müssen aber nicht – ihre eigene Einschätzung anpassen. Es sei ein ähnlicher Prozess wie früher als die unabhängigen Sachverständigenausschüsse sich nach interner Diskussion auf einen Wert geeinigt haben. Heute findet dieser Prozess nachträglich und transparent statt und der Mittelwert der beiden finalen Verkehrswerte entspricht materiell dem früher vom Ausschuss ermittelten einen Wert. Die ungewichtete durchschnittliche Abweichung bei der Bestandsbewertung liegt laut Archner über alle Immobilien der in Deutschland zum Vertrieb zugelassenen offenen Immobilienfonds bei aktuell 3,39 Prozent. Sie entspricht damit immer noch ungefähr einer Jahresrendite und zeigt, dass der zweite Bewerter eine wichtige Funktion erfüllt. Die Verkaufspreise aller offenen Publikumsfonds (mehr als 200 Objektverkäufe mit einem Volumen von 10,5 Milliarden Euro) lagen in den letzten 24 Monaten durchschnittlich zwölf Prozent über den letzten Verkehrswerten. Laut Archner belegt diese international übliche Abweichung, dass die konservative Bestandsbewertung hinreichend marktbasiert erfolgt. Bei den geschlossenen Fonds sind die laufenden Bewertungen nicht öffentlich zugänglich, so dass hier ein Abgleich nicht möglich ist.


 


b) Bei geschlossenen Fonds weichen die ermittelten Verkehrswerte der beiden Ankaufsbewertungen für eine Immobilie ebenfalls oft kaum voneinander ab.
Auch hier führt Archner den gleichen Informationsstand der beiden Bewerter als Begründung an.


 


c) Im Gegensatz zu dem hohen Gleichlauf bei der Bestandsbewertung und bei der Ankaufsbewertung zeigen sich deutliche Unterschiede im Vergleich einer aktuellen Regelbewertung für eine Immobilie eines Fonds gegenüber einer aktuellen Ankaufsbewertung (eines potentiellen Käufers) für diese Immobilie.


 


Archner weist hier zunächst auf den unterschiedlichen Zweck der Bewertungen hin. Die Regelbewertung dient in erster Linie der täglichen Anteilspreisermittlung. Grundlage der Bewertung ist das Going-Concern-Prinzip, also die Annahme, dass bei der Bewertung der Immobilien von einer langfristigen Anlage ausgegangen wird. Das führt – insbesondere in Zeiten boomender Immobilienmärkte – zu einem tendenziell konservativen Bewertungsergebnis, weil die Verzinsung der marktüblich erzielbaren Nettoerträge auf der durchschnittlichen Basis des Korridors der objektrelevanten Vergleichsrenditen der letzten 12 bis maximal 24 Monate abgeleitet wird. Die tatsächlichen Transaktionsrenditen des Marktes entsprechen dabei nur sehr eingeschränkt den in Marktberichten kommunizierten Spitzenrenditen für Topobjekte, aber eben auch nicht den kolportierten Angstrenditen in Marktabschwungphasen. Im Gegensatz zur Regelbewertung hat die Ankaufsbewertung einen etwas anderen Zweck, so Archner. Hier kommt es in dynamischen Marktaufschwungphasen letztlich immer zu einer aktuellen „Grenzpreisbewertung“, da nur der höchste Bieter den Zuschlag erhält. Dem Gutachter kommt hier also die Aufgabe zu, den Kaufpreis, den ein Käufer maximal bereit ist zu zahlen, als noch marktgerecht zu bestätigen oder gegebenenfalls abzulehnen. Archner weist darauf hin, dass Letzteres öfters vorkommt, als man denkt, nur wird es eben nicht publik. Zudem wissen die professionell agierenden Asset Manager genau wie die Ankaufsgutachter ticken und so fallen viele Ankaufsvorlagen bereits bei der internen Prüfung vorab durch. Wichtig zu wissen sei ferner, dass Ankaufsbewertungen auch in stark steigenden Märkten nicht den Zweck haben, prozyklische Immobilienkäufe zu verhindern. Sie sind aber ein Korrektiv, damit es auch in diesen Marktphasen nicht zu Anschaffungen „um jeden Preis“ kommt.
Neben dem unterschiedlichen Zweck der Bewertungen gibt es weitere Gründe, die zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Ankaufs- und Bestandsbewertung führen. Zunächst besteht zwischen einem (fremden) Ankaufsbewerter und dem vom Fonds beauftragten Regelbewerter eine Informationsasymmetrie. Der Ankaufsbewerter erhält vom potentiellen Käufer zum Beispiel nicht nur Informationen zum aktuellen Flächenaufmaß, sondern auch zu einer möglichen Flächenoptimierung oder -erweiterung. Ferner kann der Ankaufsbewerter Informationen aus einer aktuellen technischen Due Diligence, von baurechtlichen Optionen oder auch schon vorverhandelten Anschlussvermietungen berücksichtigen. Darüber hinaus kann der Ankaufsbewerter zum Beispiel auf Basis der vom Käufer geplanten Nutzung der Immobilie einen aktuellen Leerstand anders einschätzen als der Bestandsbewerter. Neben der Informationsasymmetrie bestehen in der Regel auch unterschiedliche Erwartungshaltungen bei Käufer und Verkäufer hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Immobilie und des Standortes, so Archner. Die abweichende, aktuell meist optimistischere, Erwartungshaltung des Käufers wird der Ankaufsbewerter in gewissem Maße bei seiner Bewertung berücksichtigen, sofern diese für ihn hinreichend begründet und nachvollziehbar ist und mit den sonstigen Marktdaten nicht im Widerspruch steht.


 


4. Fazit


Ankaufs- und Bestandsbewertung dienen einem ganz unterschiedlichen Zweck und daher sind deren Ergebnisse nicht unmittelbar miteinander vergleichbar. Hinzu kommt eine Informationsasymmetrie zwischen Ankaufs- und Bestandsbewerter, die sich ebenso wie eine unterschiedliche Erwartungshaltung von Käufer und Verkäufer letztlich in der Bewertung widerspiegeln können.