FondsDISCOUNT.de: Herr Dr. Toncar, in den vergangenen Tagen hatten wir es mit einem völlig neuartigen Phänomen zu tun: Kleinanleger haben sich in einer Art Börsen-Flashmob organisiert und massenhaft Aktien schwächelnder Unternehmen gekauft, allen voran vom Spielehändler Gamestop. Das Ziel, den großen Hedgefonds die Spekulation auf fallende Kurse zu verderben, wurde erreicht: Die Gamestop-Aktie explodierte innerhalb von zwei Wochen um rund 1.700 Prozent. Wie bewerten Sie diese Aktion „David gegen Goliath“ und hätte man so etwas kommen sehen können?


Florian Toncar: In der letzten Zeit boomen Trading-Apps wie Robinhood oder Scalabe Capital. Der günstige und einfache Zugang zum Kapitalmarkt lockt viele, meist junge Leute, die sich dafür interessieren, wie der Kapitalmarkt funktioniert. Ich sehe dieses neue Interesse am Börsenhandel im Grundsatz durchaus positiv, denn das Wissen über den Finanzmarkt wird durch die Digitalisierung sozusagen demokratisiert. Niemand ist mehr auf Intermediäre angewiesen, will er die ersten Schritte an der Börse machen. Gleichzeitig birgt diese starke Vereinfachung der Börse die Gefahr, dass die Anleger sich weniger ernsthaft mit Kapitalanlage beschäftigen, als ein Happening zu feiern. Dauerhaft gegen die Wirklichkeit zu wetten (Gamestop kämpft mit denselben Problemen wie viele andere Ladengeschäfte und ist bei weitem nicht so viel wert, wie es jetzt scheint) kann am Ende ziemlich übel für die Privatanleger ausgehen, wenn die Kurskorrektur kommt. Einigen scheint dieses Risiko nicht bewusst zu sein.


Trading-Apps sind noch nicht besonders lange weit verbreitet, aber Flashmobs im Internet gab es schon früher immer wieder. Vielleicht war es tatsächlich nur eine Frage der Zeit, bis so etwas passiert.


Im Zuge dieses beispiellosen Börsenhypes gerieten einige Neo-Broker unter Druck und beschränkten zwischenzeitlich den Handel auf die entsprechenden Aktien: Verkäufe waren weiterhin möglich, ein Kauf der Titel allerdings nicht mehr. War dieser Schritt aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?


Das war ein fatales Signal. Kleinanleger in einer volatilen Phase vom Handel auszuschließen, während große Hedgefonds weiterhin Zugang haben, geht nicht. Die Aufsicht muss einen gleichberechtigten Marktzugang für alle Teilnehmer konsequent durchsetzen.


Muss aufgrund dieses Eingriffs in die Handelsfreiheit die Börsenkultur neu verhandelt werden? Oder sollte es aus Ihrer Sicht aufsichtsrechtliche Nachbesserungen geben?


Die Börsenkultur unterlag schon immer Veränderungen. Die Märkte werden sich auf die neue Macht der Kleinanleger einstellen müssen – im Grundsatz ist es ja sehr gut, dass der einzelne Anleger wieder mehr zählt. Gleichzeitig muss aber auch die Finanzaufsicht dieses Phänomen auf dem Radar haben: Wer bestimmte Anleger vom Handel ausschließt, zerstört Vertrauen.


Stichwort Finanzaufsicht: Im Zuge des Wirecard-Skandals mussten nun der Präsident der BaFin und auch die Vize-Chefin ihre Posten räumen. Ein personeller Neuanfang und vor allem ein struktureller Umbau der Behörde scheint unausweichlich. Was muss sich ändern, damit es künftig effektivere Kontrollen geben kann?


Die BaFin muss strukturell neu aufgestellt werden: Zunächst muss sie das Know-how der „großen“ Marktplayer haben – das bekommt sie nur durch einen regen personellen Austausch mit der Wirtschaft und den Behörden anderer Länder, wie der amerikanischen SEC. Die BaFin muss ihre Zeit und Aufmerksamkeit dorthin fließen lassen können, wo große Risiken liegen. Es darf nicht sein, dass die Aufsicht kleine Finanzinstitute oder Finanzdienstleister genauso intensiv beaufsichtigt wie große, international aufgestellte Akteure. Das ist auch eine Forderung an die Politik, die Aufsicht nicht mit unnötigen Aufgaben zu überfrachten. Letztlich muss sie viel schlagkräftiger werden, und etwa mit einer schnellen Eingreiftruppe ausgestattet sein, die bei Betrugsfällen sofort zur Stelle ist. Dazu müssen wir auch an die Vergütung ran, denn Spitzenpersonal gibt es nicht umsonst. Die Führungsdiskussion sollte dabei erst zuletzt eine Rolle spielen.


Wir haben als FDP-Fraktion bereits Vorschläge zur Reform der BaFin unterbreitet, die weit über die immer noch dünnen Ankündigungen von Minister Scholz hinausgehen.


Herr Dr. Toncar, vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen!


Zur Person: Dr. Florian Toncar (FDP) ist Mitglied des Deutschen Bundestags und finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Dr. Toncar ist außerdem seit 2018 im Finanzausschuss und seit Oktober 2020 Mitglied im Untersuchungsausschuss zum Fall Wirecard. Weitere zentrale Themen seiner politischen Arbeit sind Wirtschaft, Digitalisierung und Bildung.