FondsDISCOUNT.de: In den letzten 12 Monaten hat sich so Einiges getan an der Börse. Nach den Höchstständen beim DAX im April und seinem Einbruch im August infolge des China-Crashs erleben wir derzeit eine starke Korrekturphase. Glauben Sie, dass wir bereits in einen langfristigen Bärenmarkt auf dem deutschen Aktienmarkt eingetreten sind?

Klaus Kaldemorgen:
Das kann man noch nicht sagen, ich verstehe, warum der Aktienmarkt skeptisch ist. Derzeit manifestieren sich Wachstumsängste. Die Weltwirtschaft wächst wahrscheinlich schwächer, als das erwartet wurde. Die Gründe dafür sind bekannt. Da wäre zunächst mal der schwache Ölpreis, der auf das globale Wachstum drückt. Auch das schwache Wachstum in China wird zum Problem. Die Investoren beginnen zu befürchten, dass die Geldpolitik der Zentralbanken zunehmend wirkungslos wird. Die Zentralbanken werden einen Abschwung nicht stoppen können. Im Gegenteil: Sie könnten ihn sogar noch verstärken.

Allerdings ist es noch nicht gesichert, wie stark sich das Wachstum der Weltwirtschaft abkühlt. Das Sentiment kann sich mit den Konjunkturdaten jederzeit wieder verbessern. In ein paar Monaten werden wir mehr sehen.

FD: Kann das US-Zentralbanksystem Fed die Zinsen jetzt überhaupt noch weiter erhöhen, um dieser Krise zu begegnen?

Kaldemorgen: Die Anzahl der Zinserhöhungen wird vermutlich niedriger ausfallen. Der Abschwung wird nicht so schlimm wie in der Finanzkrise. Es sei denn, die Zentralbanken fangen jetzt an, nervös zu werden. Sie sollten lieber Ruhe bewahren. Wir brauchen in der aktuellen Phase nicht noch mehr Volatilität. Starke Interventionen der Zentralbanken könnten aber genau das auf dem Währungsmarkt auslösen. Wenn in dem aktuellen Marktumfeld noch der Euro oder der Renminbi stärker abwerten würden, dann wird sich das auch auf die globale wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Die Zentralbanken müssen daher derzeit vor allem Ruhe ausstrahlen.

Medien sind in dieser Zeit besonders wichtig, denn sie verbreiten Informationen, die Anleger beeinflussen könnten. Wie hat sich der Einfluss der Medien auf das Marktgeschehen in den letzten Jahren verändert?

Ich glaube, dass die Medien in gewisser Weise prozyklisch wirken können. Immer, wenn in den Märkten etwas passiert, eskalieren diese Ereignisse in den Medien. Das wirkt sich dann auf die Anleger aus. Als Apple die jüngsten Quartalszahlen veröffentlicht hat, habe ich einen Bericht gesehen, bei dem die Überschrift lautete: „Apple geht die Puste aus!“ – Das halte ich bei einem Gewinn von 17 Milliarden Euro für etwas übertrieben. Für den Verlauf des Aktienkurses hingegen stimmte das allerdings.

Werden die Märkte auch durch die zunehmende Anzahl der Privatanleger verunsichert?

Nein, die Märkte werden nicht so stark durch die privaten Anleger beeinflusst. Ihr Einfluss nimmt eher ab. Der prozentuale Anteil der Aktien in deutschen Depots beträgt weniger als 10 Prozent. Es sind im Wesentlichen die professionellen Anleger, wie Pensionskassen, Fondsmanager und Versicherungen, die auf die Märkten wirken. Aber auch die lassen sich durch die Medien beeinflussen. Da hat sich einiges verändert. Die Manager haben Risikobudgets, die sie nicht überschreiten dürfen. Bei Abwärtsbewegungen kommt ein kumulativer Effekt hinzu, der die Volatilität zusätzlich erhöht. Auch als professioneller Investor muss man manchmal die Füße stillhalten und Ruhe bewahren.

Die Banken sehen sich der aktuellen Bain-Studie zufolge mit einem riesigen Kostendruck konfrontiert, der mit einem hohen Personalabbau verbunden sein wird (125.000 Jobs stehen auf dem Spiel). Wird die Rolle der Banken als Berater für Privatkunden weiter abnehmen?


Was mich beunruhigt, ist, dass der Bankensektor in Europa mit Kursverlusten von 20 Prozent zu den schwächsten gehört. Dafür ist auch die Geldpolitik der EZB verantwortlich. Denn negative Zinsen sind für Banken keine gute Nachricht. Das ist kontraproduktiv und einer der Gründe für rückläufige Erträge.

Die Kreditvergabe der Banken wird erst dann wieder deutlich anziehen, wenn die Wirtschaft besser läuft. Das ist die derzeitige Herausforderung. Bis es so weit ist, müssen Banken eben in anderen Geschäftsfeldern Geld verdienen.

ETFs konnten in den vergangenen zwei Jahren enorm viel Kapital einsammeln. Wird der Trend auch in diesem Jahr anhalten?


Der Trend wird sich fortsetzen. Die aktiven Fonds müssen verstärkt die Nischen besetzen, die passive Fonds nicht besetzen können. Multi Asset Fonds zum Beispiel sind passiven Anlagestrategien überlegen. Die Möglichkeit der ETFs, nachhaltige Dividendenstrategien umzusetzen, scheitert zum Beispiel an ineffizienten Benchmarks.

Was würden Sie Anlegern raten, die nicht länger bereit sind, die niedrigen Zinsen zu akzeptieren und sich deshalb jetzt ein breit gestreutes Portfolio einrichten wollen?

Das ist eine gute Idee. Die Frage nach dem Einstieg kommt oft. Jeder Kurssturz ist eine gute Gelegenheit, die Untergewichtung von Aktien im Portfolio zu korrigieren. Ganz einfach indem man mal anfängt, Aktien zu kaufen. Der Privatanleger kann anders reagieren, weil er deutlich langfristiger disponieren kann als professionelle Anleger, die unter Wettbewerbsdruck stehen. Er muss auch nicht nervös werden. Wie gesagt, der Anteil von Aktien in deutschen Portfolios liegt unter zehn Prozent.

Die Meinungen über China gehen weit auseinander: Die einen Experten glauben noch an eine sanfte Landung der Wirtschaft. Andere gehen davon aus, dass die Zahlen zum BIP geschönt sind. Wie sehen Sie die Entwicklung im „Reich der Mitte“ in 2016?

Es gibt Analysten, die sagen: ‘Selbst wenn China nur vier Prozent wächst, ist das noch genug‘. Das würde ich so nicht unterschreiben. Die Verschuldung ist extrem nach oben gegangen. Dafür braucht man ein viel höheres Wachstum – jenseits der fünf Prozent. Mit dem abnehmenden Wachstum scheint sich auch eine Schwäche der Währung abzuzeichnen. Es sieht danach aus, dass nicht nur die ausländischen Investoren ihr Geld abziehen, sondern auch die Chinesen selbst lieber an anderen Finanzplätzen investieren.

China verändert sich von einer exportgetriebenen zu einer konsumgetriebenen Wirtschaft. Sie produzieren schon viel für den eigenen Markt und künftig wird der Heimatmarkt noch interessanter. Die Transition geht aber nicht so schnell voran, wie man das gedacht hat. Diese Klemme könnte durchaus Probleme bereiten.

Ist der schwache Ölpreis ein Ausdruck des Nachfragerückgangs aus China?

Nein, es gibt ja noch ein Wachstum in China, daher wird auch die Nachfrage nach Öl aus China weiter steigen. Beim Ölpreis haben wir ein Angebotsproblem und kein Nachfrageproblem.

Mit Ihrem Fonds DWS Concept Kaldemorgen investieren Sie in Wertpapiere mit einer möglichst geringen Volatilität. Die Volatilität an den Finanzmärkten hat aber deutlich zugenommen. Hat sich die Asset-Allokation vor diesem Hintergrund in den vergangenen Monaten erschwert?


Ja, aber ich muss Sie korrigieren. Ich suche nicht nach Einzeltiteln mit geringer Volatilität. Ich versuche, für den gesamten Fonds die Volatilität niedrig zu halten. Im Januar habe ich meinen Aktienanteil auf 25 Prozent abgesenkt. Ich sehe aber noch genügend Opportunitäten, auch mit niedriger Vola gute Returns erzielen zu können. Zum Beispiel mit High-Yield-Anleihen. In den letzten Monaten ist deren Rendite extrem angestiegen. Das hängt zwar mit dem schwachen Energiesektor zusammen, aber nicht nur. Wenn man mit Anleihen mehr als sechs Prozent erzielen kann, dann kann man damit zufrieden sein. Bei Energie und Rohstoffunternehmen sind es mehr als 10 Prozent. Für Anleihen-Investoren ist die Aktie der beste Freund. Tritt bei einem Unternehmen eine Notsituation ein, wird zunächst einmal die Aktie darunter leiden, weil sich die Unternehmen dann darüber finanzieren. Für die Anleihe ist das gut. Das ist derzeit eine der interessantesten Opportunitäten. Mag sein, dass sich das Fenster wieder schließt, das hängt auch mit der Entwicklung der Rohstoffpreise zusammen. Zweistellige Renditen im Anleihenbereich sind Aktieninvestments aber vorzuziehen, weil bei Aktien eher Renditen im mittleren einstelligen Bereich historisch der Durchschnitt sind.

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob sich ein Investment in ein stark verschuldetes Unternehmen lohnt?


Hat das Unternehmen Aktien ausstehen? Wie ist die Marktkapitalisierung? Zahlt das Unternehmen Dividende? Die könnte nämlich im Notfall ausfallen. Damit hätte man dann einen Puffer, um Zinsen für Anleihen zu bezahlen.
Wichtig ist auch das Verhältnis der Schulden zur Marktkapitalisierung oder die Fälligkeitsstruktur der Schulden. Die meisten Unternehmen haben sich längerfristig finanziert, so dass sie die nächsten zwei bis drei Jahren mit niedrigen Öl- und Rohstoffpreisen zurechtkommen.

Zum Abschluss: Sie haben die Geschäftsführung bei DWS im Jahr 2011 aufgegeben, um sich wieder Ihrer Leidenschaft – dem Asset Management – zu widmen. Was macht Ihnen daran am meisten Spaß?


Die sich ständig verändernden Marktbedingungen. Ich sehe das sportlich. Sicherlich ist das Thema Multi Asset nicht mehr so einfach wie es vor drei oder vier Jahren war. Jetzt muss man mit einem zinslosen Umfeld bei hoher Volatilität umgehen. Da aber alle die gleichen Bedingungen vorfinden, ist es eine intellektuelle und wettbewerbliche Herausforderung in dem Feld weiterhin zu bestehen. Außerdem möchte ich sehen, wo das alles noch hinführt.

Sehr geehrter Herr Kaldemorgen, wir danken Ihnen vielmals für dieses Gespräch!