Kurz vor Mitternacht genießt Jesus Aboud den letzten Zug aus seiner Zigarette, die Glut erhellt das sonnengebräunte Gesicht des knapp 60-jährigen Geologen. „Innen ist es mir zu laut, ich kann mich da nicht unterhalten“, klagt Aboud auf der Terrasse des angesagten Nachtklubs Andres in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá und entlässt den Rauch aus seiner Lunge in den Nachthimmel. Selbst durch die geschlossenen Glastüren dröhnt die Salsamusik aus dem Gebäude in einem der angesagten Viertel im Herzen der Millionenstadt. Es ist Freitagnacht, neben Aboud und seinen Kollegen begrüßen hier Hunderte Kolumbianer ausgelassen das Wochenende, auf drei Stockwerken wird getrunken, gespeist und getanzt, als gäbe es kein Morgen. Abouds Blick wandert zehn Meter hinunter auf die Calle 82, die Straße vor dem Klubeingang. Dort spucken gelbe Taxis weitere Feierwillige aus. Aboud schüttelt ungläubig den Kopf. „Vor zehn Jahren konnte man hier um diese Uhrzeit nicht mehr auf der Straße sein, viel zu viele Kriminelle.“ Damals machten Drogen- und Rebellengruppen das Land unsicher, heute ist mithilfe des Militärs und der USA die Macht der Kartelle weitgehend zerschlagen und die Linksguerilla in abgelegene Regionen vertrieben. Mit der wachsenden Sicherheit kehren Investoren und Wohlstand nach Bogotá zurück. Nach Jahren des Bürger- und Drogenkriegs erleben die Kolumbianer ein Jahrzehnt des steilen und stabilen Wirtschaftsaufschwungs, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Einkommen steigen, die Partys werden nicht nur in Bogotá ausgelassener.

Direktinvestments statt Drogen, Rohstoffe statt Revolutionäre lautet die Erfolgsformel für das Comeback Kolumbiens. Und Aboud gehört zu den Männern, die den Boom mit anfachen. Seit knapp drei Jahren arbeitet Aboud als Explorationsmanager für Petromagdalena. Der kanadische Ölkonzern ist nur einer von über 100 ausländischen Rohstofffirmen, die sich in den vergangenen zehn Jahren im Andenstaat angesiedelt haben. Allein seit 2006 haben sich die ausländischen Investitionen im Land auf 13 Milliarden Dollar vervierfacht, zwei Drittel fließen in den Agrar-, Energie-und Bergbausektor. Der Export von Bodenschätzen hat sich gleichzeitig verdreifacht. Schon wird Kolumbien dank seiner Wachstumsstärke und seiner Bodenschätze das zweite Brasilien genannt. Inzwischen rangiert Kolumbien nach einer Untersuchung der Unternehmensberatung Behre Dolbear auf Platz 7 der besten Länder für Bergbauinvestments, nur noch drei Plätze hinter dem Rivalen im Süden. Beim Comeback haben lateinamerikanische Staaten fleißig mitgeholfen. Während Bolivien, Peru und Venezuela durch Verstaatlichungen und investorenunfreundliche Politik ausländische Rohstoffunternehmen vertrieben haben, ging Bogotá seit 2003 den umgekehrten Weg. Die Regierung vergab großzügig Förderlizenzen an Privatfirmen, bot Steuererleichterungen an, das staatliche Energieunternehmen Ecopetrol wurde teilprivatisiert. Ergebnis: Allein die Direktinvestitionen in die Ölindustrie haben sich seit 2002 auf über vier Milliarden US-Dollar vervierzigfacht, und Kolumbien ist zum viertgrößten Ölexporteur Lateinamerikas aufgestiegen.

Chávez hilft Kolumbiens Ölsektor
Einer, der durch die wirtschaftsfreundliche Politik eine neue Heimat gefunden hat, ist Aboud. Davor war der geborene Libanese beim staatlichen Ölkonzern PDVSA im Nachbarland Venezuela angestellt. Dann verließ er das Land, als Staatschef Hugo Chávez 18 000 gut ausgebildete Mitarbeiter des Unternehmens, die in Streik getreten waren, auf einen Schlag entlassen hat. „Schlecht für Venezuela, gut für Kolumbien“, sagt Aboud und lacht. Von Kolumbiens Ölkapitale Bogotá aus kümmert Aboud sich um die Erkundung neuer Ölfelder und die 19 Liegenschaften von Petromagdalena im Land. Eine der bedeutendsten ist das Llanos Basin, eines der großen Fördergebiete Kolumbiens, rund 200 Kilometer östlich von Bogotá. Allein zwei Stunden dauert es, bis der Flieger aus der Hauptstadt auf dem Provinzflughafen Yopal landet. Eine weitere Stunde fliegt der Helikopter über flaches Steppenland, das von braunen Flüssen durchzogen ist. Ein paar Gehöfte und unbefestigte Straßen sind die einzigen sichtbaren Zeichen von Zivilisation, ehe man aus der Luft das fußballfeldgroße Ölfeld namens Yopo entdeckt, das mit Maschendraht umzäunt ist. Schwarze Öltanks und weiße Wohncontainer grenzen das Gebiet ab, am Eingangstor warten silberne Tanklaster, die das schwarze Gold über 100 Kilometer weit zur nächstgelegenen Pipeline transportieren. Ein Ölarbeiter klettert gerade auf einen 20 Meter hohen Bohrturm, um das beschädigte Gestänge zu reparieren, seine Kollegen am Boden blicken ihm bei 30 Grad im Schatten in ihrer roten Schutzkleidung hinterher. Rund 20 US-Dollar am Tag verdienen die ungelernten Arbeiter. Welchen Lohn die Soldaten erhalten, die das Gelände bewachen, bleibt ein Geheimnis. Sie werden von der Armee bereitgestellt, ihr Einsatz aber wie überall im Land von den Rohstofffirmen selbst bezahlt. Denn obwohl die Linksrebellen stark zurückgedrängt sind, gibt es immer wieder Sprengstoffattacken auf Pipelines, manchmal auch Entführungen, wie vor einem Jahr, als chinesische Ölarbeiter in die Hände der Guerilla fielen. Nach eigenen Angaben hatte Petromagdalena aber bisher keine Probleme. Einige Hundert Barrel am Tag werden in Yopo aus rund 1500 Meter Tiefe gepumpt. Die Vorkommen sind sehr einfach, sprich sehr günstig auszubeuten. Knapp 15 US-Dollar kostet es, ein Barrel aus dem kolumbianischen Boden zu holen. Bei Weltmarktpreisen von über 90 US-Dollar ein einträgliches Geschäft.

Goldindustrie boomt
Knapp 4000 Barrel fördert Petromagdalena täglich. Nicht viel im Vergleich zu Ölmultis. Doch genug für einen kanadischen Konkurrenten, um das Scheckheft zu zücken. Vor knapp einem Monat übernahm Pacific Rubiales Energy die Aktien von Petromagdalena für 225 Millionen Kanadische Dollar. Damit ist Pacific Rubiales, das dank seiner aggressiven Wachstumsstrategie zu einem der Stars am kolumbianischen Ölhimmel zählt, seinem ehrgeizigen Ziel ein kleines Stück näher gekommen. Die Produktion soll in den kommenden drei Jahren auf 500 000 Barrel verdoppelt werden. Neben Übernahmen sollen neue Ölfunde helfen. Die Arbeit von Geologen wie Aboud bleibt daher auch weiterhin gefragt. Auch Donald East gehört zu den Gewinnern des Kolumbien-Booms. Das Einsatzgebiet des hochgewachsenen Südafrikaners liegt 130 Kilometer nordöstlich der zweitgrößten Stadt Medellín in der Region Segovia. Dort schlendert der Leiter der Liegenschaften des kanadischen Goldförderers Gran Colombia Gold in der Mittagshitze über das hügelige Gelände der Goldmühle Maria Dama, vorbei an Hunderten Motorrollern, dem üblichen Transportmittel der Arbeiter, die hier Gold aus Gestein der umliegenden Minen gewinnen.

Seit 35 Jahren ist der Hüne mit den tief eingegrabenen Furchen im Gesicht und der rauen Stimme schon im Rohstoffgeschäft und hat dabei für Großkonzerne wie Anglo American entlegene Regionen der Welt auf der Jagd nach dem gelben Edelmetall kennengelernt. Doch Kolumbien hat es ihm besonders angetan. „Aufgrund seiner geologischen Eigenschaften ist das Land eines der aufregendsten Goldabbaugebiete weltweit“, schwärmt East. Schon im 16. Jahrhundert suchten spanische Konquistadoren nach den legendären Goldland Eldorado im heutigen Kolumbien. Rund 400 Jahre später sind es vorwiegend nordamerikanische Geschäftsleute, die dem Rausch erliegen. Dutzende kanadische und US-Firmen sind auf der Suche nach stillgelegten Minen, neuen Vorkommen und lukrativen Übernahmezielen. Seit 2006 hat sich Kolumbiens Goldausstoß auf über 60 Tonnen mehr als verdreifacht. Inzwischen ist die Anziehungskraft so gewaltig, dass die Genehmigung von neuen Förder- und Explorationsgenehmigungen bis Mitte 2012 weitgehend gestoppt wurde. Ein neues Lizenzierungsverfahren soll helfen, die im alten System herrschende Korruption und Vetternwirtschaft zurückzudrängen.

Gran Colombia Gold hat das Problem in Segovia nicht, der Konzern konnte frühzeitig seine Claims in der Region abstecken, mitten im Herzen des kolumbianischen Goldgürtels, aus dem 80 Prozent der landesweiten Goldproduktion stammen. „Schon vor 155 Jahren hat das Unternehmen Frontino Gold Mines hier in Segovia Gold abgebaut“, brüllt East, dessen Stimme gerade vom Lärm der Schleudern in der Fabrikhalle fast übertönt wird. In den überdimensionierten Waschtrommeln wird das tonnenschwere Gestein durch faustgroße Eisenkugeln zerkleinert, um aus diesem Geröll später ein paar Gramm Gold zu gewinnen. Knapp 80 000 Unzen (à 31,1 Gramm) Gold produziert Gran Colombia jährlich allein in Segovia. Auch wenn Rohstofffirmen dem armen Land Arbeitsplätze bringen, werden sie von der Bevölkerung nicht immer mit offenen Armen empfangen. Die Konzerne agieren häufig in Regionen, die seit Jahrzehnten von einheimischen Goldsuchern aus schierer Not illegal ausgebeutet werden. Um Spannungen zu verhindern, kauft Gran Colombia daher auch das Gestein von informellen Schürfern, die auf dem und rings um das Gran-Colombia-Gelände auf eigene Faust buddeln. Auch Teile der Guerilla und der Drogenkartelle versuchen durch eigene Förderung in abgelegenen Gebieten oder Schutzgelderpressung am Milliardengeschäft teilzuhaben. Für East ist dies aber kein Grund zur Sorge. „Die Sicherheitslage in Kolumbien hat sich in den vergangenen Jahren enorm verbessert“, sagt er und strahlt. Für den Südafrikaner ist Eldorados Anziehungskraft ungebrochen.