Coca-Cola ist überall. In über 200 Ländern der Welt werden die Marken des weltgrößten Softdrinkherstellers verkauft. Jeder Erdenbürger greift rechnerisch alle vier Tage zu einem Getränk des Megakonzerns, ein deutscher Konsument sogar jeden zweiten Tag. Auch Konzernchef Muhtar Kent ist durstig: Innerhalb eines Jahrzehnts will er den Umsatz verdoppeln. Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, dass der Plan durchaus realistisch ist. In den Schwellenländern steht der Brausekonzern erst am Anfang: In China liegt der Konsum von Coca-Cola-Produkten pro Einwohner um 60 Prozent unter dem weltweiten Schnitt, in Indien sogar um 85 Prozent. Um das Glas weiter zu füllen, lässt der Brausekonzern viel Geld sprudeln. Allein in Indien will er fünf Milliarden Dollar — annähernd der Börsenwert der Deutschen Lufthansa — in den Ausbau seiner Infrastruktur investieren. Aus Sicht von Börsianern ist Coca-Cola auf jeden Fall eine Erfrischung: Dank treuer Kunden, hoher Ertragskraft und weltweiten Wachstums hat der Konzern seit 50 Jahren regelmäßig die Dividende gesteigert und ist für seine Aktionäre damit zu einer verlässlichen Geldquelle geworden. Unternehmen mit krisenfestem Geschäftsmodell — genau darauf setzen Anleger im Schatten der Staatsschuldenkrise. Die Angst vor einem Währungskollaps in Europa und den möglichen Konsequenzen für die Weltkonjunktur treibt Anleger in Aktien wie Coca-Cola. Schließlich hat der Konzern in seiner mehr als 125-jährigen Geschichte Weltkriege und brutale Rezessionen überlebt. Folge: In den vergangenen drei Jahren ist der Börsenwert des Brauseimperiums um 75 Prozent gestiegen.

Die Macht der Marke
Aktien mit defensiven Qualitäten stehen hoch im Kurs. Der Wert des Nahrungsmittelgiganten Nestlé ist in den vergangenen drei Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen, der Kurs des Bierkonzerns Anheuser-Busch hat sich an der Börse sogar mehr als verdoppelt. Ähnlich wie Coca-Cola zeichnen sich beide Unternehmen durch ihr Portfolio aus starken Marken aus. Die Erfahrung zeigt: Hat sich ein Kunde einmal auf eine Lieblingssorte bei Joghurt oder Bier festgelegt, bleibt er der Marke bis an sein Lebensende treu. Zusätzlich lassen sich bei Produkten, die im Supermarkt wenige Euro kosten, Preiserhöhungen relativ leicht beim Kunden durchsetzen. Ebenfalls zu den Substanzwerten zählen Luxusgüterhersteller wie LVMH, da sie sich um die Kaufkraft ihrer Kunden relativ wenig Gedanken machen müssen. Auch der Gesundheitssektor, also Unternehmen wie Novartis oder Fresenius, verdient sein Geld weitgehend unabhängig von der Konjunkturlage. Über die vergangenen drei Jahre ist Fresenius mit 120 Prozent Kursplus sogar Topwert im DAX. Massive Kurssteigerungen sind schön für all jene, die rechtzeitig in die entsprechenden Aktien investiert haben, sie werden irgendwann aber unheimlich. Rein optisch sind Aktien aus defensiven Branchen hoch bewertet. Das allein ist noch nicht gefährlich. Nestlé beispielsweise wurde in den vergangenen zehn Jahren regelmäßig mehr als das 15-Fache des erwarteten Jahresgewinns zugestanden. Die Aktie ist damit optisch teurer als der DAX, dessen Kurs-Gewinn-Verhältnis langfristig im Bereich von zwölf liegt. „Bei substanzstarken Unternehmen, die über viele Jahre hinweg bewiesen haben, dass sie auch in einem kritischen Konjunkturumfeld wachsen und verlässlich Dividende zahlen können, ist eine überdurchschnittliche Bewertung gerechtfertigt“, erklärt Peter Reichel, Leiter Private Vermögensverwaltung bei der Berenberg Bank, die Börsenmathematik. Doch auch für die Bewertung defensiver Investments gibt es Grenzen. Ausgerechnet die für weitsichtige Investments bekannte Börsenlegende Warren Buffett hat schon zu Jahresbeginn Aktien aus defensiven Branchen verkauft. Über seine Investmentholding Berkshire Hathaway reduzierte Buffett Bestände am Nahrungsmittelkonzern Kraft Foods, beim Gesundheitsunternehmen Johnson & Johnson und dem Konsumgüterhersteller Procter & Gamble.

Bewertung analysiert
Die Strategen der Investmentbank Morgan Stanley haben ihren Kunden unlängst vorgerechnet, dass defensive US-Aktien im Vergleich zu zyklischen, also stark von der allgemeinen Wirtschaftslage abhängigen Titeln fast so teuer sind wie seit zehn Jahren nicht mehr. Das deckt sich mit einer Erhebung von €uro am Sonntag. Die Redaktion hat einen Korb aus 20 prominenten defensiven Aktien zusammengestellt und sich die Bewertung genauer angeschaut. Ergebnis: Mehr als die Hälfte ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis bewertet, das über dem Mittelwert der vergangenen zehn Jahre liegt. Sind defensive Aktien inzwischen also zu einem riskanten Investment geworden? Die Antwort hängt stark davon ab, wie sich die europäischen Staatsschuldenkrise entwickelt. „Wenn sich die Sorgen um den Euro verflüchtigen und die Weltwirtschaft wieder an Fahrt aufnimmt, dürften Investoren vermehrt von Substanz- in Wachstumswerte umschichten“, erklärt Vermögensexperte Reichel. Die meisten Volkswirte rechnen zwar nicht mit einer ökonomischen Katastrophe, sehen aber zumindest Europa als Epizentrum der Krise vor einer Phase mit bestenfalls moderatem Wachstum. Das weckt Erinnerungen an die 1960er- und 70er-Jahre. Auch damals schwächte sich die Weltwirtschaft ab. Einige Unternehmen aber konnten dank globaler Ausrichtung und starkem Produktportfolio die Gewinne überdurchschnittlich steigern. Das wurde an den Finanzmärkten mit deutlichen Kursaufschlägen belohnt. Die Bewertungen für diese Titel stiegen massiv an. Einige Aktien kamen auf exzessive Kurs-Gewinn-Verhältnisse von mehr als 50.

Defensive Dauerrenner
Nach Berechnung von Morgan Stanley haben die als „Nifty Fifty“, also die als „elegant“ oder auch „raffiniert“ bezeichneten Aktien, den breiten Markt über einen Zeitraum von acht Jahren um jeweils 15 Prozent geschlagen. Erst dann führte die hohe Bewertung zu einem deutlichen Kursrückgang. Zu den Wachstumsrennern jener Jahre zählten unter anderem Coca-Cola, Philip Morris und Procter & Gamble. Werte, die auch heute als Substanztitel populär sind. Ein Blick auf die für unseren defensiven Aktienkorb ausgewählten Titel zeigt, dass diese zwar keine Schnäppchen mehr sind, aber noch nicht das Stadium massiver Überbewertung erreicht haben: Das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt im Schnitt um mehr als 20 Prozent unter dem Bewertungshoch der vergangenen zehn Jahre. Gestützt werden viele Substanzwerte durch den Mangel an Alternativen für Investoren. Weil die Anleihen der wenigen noch als verlässlich eingeschätzten Staaten minimale Rendite abwerfen, sind sie in vielen Portfolios durch Aktien von Unternehmen mit hoher und nachhaltiger Dividende verdrängt worden. Anders als die eher hektischen Kursausschläge einer Aktie entfaltet die Dividende ihre Wirkung eher langfristig. Die Vermögensverwaltung Flossbach von Storch hat den Dividendeneffekt exemplarisch an der Nestlé-Aktie hochgerechnet: Der Konzern hat seine Ausschüttung über die vergangenen zehn Jahren um durchschnittlich zwölf Prozent gesteigert, also auch während der ersten Eskalation der Finanzkrise nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman. Geht man konservativ davon aus, dass der Konsumgüterriese seine Dividende künftig jeweils um fünf Prozent aufstockt, würde die Auszahlung bis zum Jahr 2022 von zuletzt 1,95 auf über 3,00 Schweizer Franken je Aktie steigen. Wer heute die Aktie kauft, käme somit auf eine Dividendenrendite von rund fünf Prozent — unabhängig davon, wie sich der Aktienkurs bis dahin entwickelt.

Fluch des Erfolgs
Die Dividende ist bei Coca-Cola derzeit ein Schwachpunkt. Die Ausschüttungshistorie ist zwar lupenrein, die Dividendenrendite von wenig mehr als 2,5 Prozent aber eine der schwächsten in unserem Aktienkorb. Das Problem: Der Aktienkurs von Coca-Cola ist deutlich stärker gestiegen als der Gewinn. Um eine Dividendenrendite von drei Prozent zu erreichen, müsste der Konzern die Ausschüttungsquote deutlich anheben. Ein solcher Schritt aber würde die Fähigkeit, in Wachstum zu investieren, einschränken.