Europäische Banken könnten gezwungen sein, bis zu 40 Milliarden Euro an Extra-Kapital in ihre britischen Filialen zu stecken. Das sei eine der Auswirkungen des Brexit, so ein Bericht der Boston Consulting Group (BCG). Zudem werden die jährlichen Kosten für die Kapitalmarkt-Sparte der Banken um acht bis 22 Prozent steigen. Als Folge der Kostenwelle könnten Banken ihre Aktivitäten zurückschrauben, so die Vermutung der Unternehmensberater.

Zu einer Einschränkung der Aktivitäten könnte es auch ganz ohne den finanziellen Druck kommen, denn noch ist völlig unklar, wie ausländische Banken in Zukunft in London operieren dürfen. Aktuell reicht eine Lizensierung in einem der 28 EU-Staaten, um in allen anderen tätig sein zu dürfen.

Ein großer Teil der Aufmerksamkeit der Brexit-Folgen hat sich bislang auf die US-Banken konzentriert, die London als Tor nach Europa nutzen. Der BCG-Bericht konzentriert sich hingegen auf die rund 60 europäischen Banken, die Niederlassungen in Großbritannien haben, darunter die Deutsche Bank, Commerzbank, BNP Paribas, Santander, Société Générale, aber auch kleinere Banken wie die österreichische Erste Group oder die portugiesische Novo Banco, zudem die ohnehin schon unter massiven Druck stehenden griechischen und zypriotischen Banken.

Fokus auf Europa
„Jeder spricht über die Perspektive der US-Banken, doch die europäischen Banken werden weit mehr betroffen sein“, zitiert die Financial Times einen Autor des Berichts. Für die US-Banken sei Europa nicht so wichtig, es betrifft etwa 20 bis 30 Prozent ihres Profits auf den Kapitalmärkten. „Für die europäischen Banken ist der Finanzplatz London viel wichtiger, da sie bis zu 70 Prozent ihrer Operationen am Kapitalmarkt hier durchführen.“

Die Londoner Niederlassungen, die die europäischen Banken für ihre Geschäfte nutzen, braucht aktuell kein eigenes Kapital. Das könnte sich nach dem Brexit ändern, wenn Großbritannien aus dem Binnenmarkt ausscheidet und die EU-Banken sich nicht mehr auf die Lizenzen aus dem Heimatland verlassen können.

Die BCG hält es daher für „wahrscheinlich“, das zumindest einige Banken „Zwischenholding-Gesellschaften“ in Großbritannien einrichten würden – ähnlich jenen, die bereits in den USA etabliert wurden. Sowohl die EU als auch Großbritannien könnten solche Tochtergesellschaften verlangen – vor allem von systemrelevanten Banken.

Deutsche Geldhäuser trifft es besonders hart
Alleine die deutschen Banken müssten zusätzliche zehn Milliarden Euro an Kapital in Großbritannien bereitstellen. Insgesamt schätzen die Forscher die Summe für europäische Banken bei 30 bis 40 Milliarden Euro, wobei der Großteil der Kosten auf die zehn größten Banken fallen würde. Vorstellbar sei auch, dass die Geldhäuser künftig mit zwei getrennten Einheiten agieren, was allerdings die Kosten verdoppeln würde, so die BCG. „Für einige Banken bedeutet der Brexit, dass sich ihr Rückzug aus Teilen der Wertschöpfungskette beschleunigen könnte“.

Insgesamt bedeuten die Erkenntnisse von BCG nur einen weiteren Tiefschlag für die Banken, für die 2016 bereits jetzt ein Horrorjahr darstellt – obwohl es erst zur Hälfte um ist. Sogar das renommierte Wall Street Journal spricht von einem „Blutbad“. Bereits zu Jahresbeginn fielen zahlreiche Finanztitel ins Bodenlose: Die 20 größten internationalen Banken haben laut dem Magazin seit Jahresbeginn ein Viertel ihres Marktwertes eingebüßt: Insgesamt sind so rund 465 Milliarden US-Dollar an Marktwert vernichtet worden.

Europa droht deshalb eine neue Bankenkrise: Ganz besonders schlimm trifft es den italienischen Bankensektor, der sogar über die Hälfte an Marktwert verloren hat und auf faulen Krediten in Höhe von 360 Milliarden Euro sitzt. Insgesamt lauern im gesamten europäischen Bankensystem faule Kredite in Höhe von mehr als 900 Milliarden Euro.