Die Finanzwirtschaftler Professor Dr. Martin Weber, Professor Dr. Heiko Jacobs, Professor Dr. Christine Laudenbach, Professor Dr. Sebastian Müller sowie Professor Dr. Philipp Schreiber haben kürzlich ein neues Sachbuch zum Thema individuelle Vermögensstrategie veröffentlicht. Das Expertenteam hat darin einen Leitfaden für ein „finanziell sorgenfreies Leben“ entwickelt und wendet sich damit an alte und neue Anleger. Dabei nutzen die Wissenschaftler neueste Forschungsergebnisse und sensibilisieren die Leser hinsichtlich Anlagehorizont und persönliche Risikotoleranz. In einer kleinen Serie wollen wir die Autoren zu einzelnen Kapiteln und Themenbereichen des Buches „Die genial einfache Vermögensstrategie“ befragen. Heute: Herr Professor Dr. Philipp Schreiber zum Thema Renteneintritt und Entsparstrategien.


Herr Schreiber, mal ganz salopp gefragt: Haben Sie sich schon mal Gedanken über den Zeitpunkt Ihres Renteneintritts gemacht?


Ja, das habe ich schon, allerdings eher in einem theoretischen Kontext. Ich beschäftige mich in meiner Forschung und in unserem Buch unter anderem mit der Frage nach dem optimalen Renteneintrittszeitpunkt und Faktoren, die diesen Zeitpunkt beeinflussen. Auch wenn der Renteneintritt noch weit entfernt ist, bleibt es dann trotzdem nicht aus, dass man sich natürlich fragt, wie man selbst entschieden würde. Gerade die Frage auf wie viel monatliche Rente man verzichten würde, um etwas früher in Rente zu gehen, finde ich dabei spannend, da wir genau diese Abwägung zum Beispiel bei der gesetzlichen Rente vornehmen müssen.


Wenn man vor dem gesetzlichen Rentenalter in den Ruhestand gehen will, muss man Abschläge in Kauf nehmen. Sie führen Möglichkeiten an, wie man diese umgehen kann. Welche sind das?


Die Abschläge entstehen zum einen dadurch, dass wir weniger Rentenpunkte sammeln, wenn wir früher in Rente gehen und zum anderen dadurch, dass sich der sogenannte Zugangsfaktor reduziert. Der Zugangsfaktor beträgt 100 Prozent bei Renteneintritt zum gesetzlichen Rentenalter und reduziert sich um 0,3 Prozent Punkte pro Monat den wir früher in Rente gehen.


Es gibt zwei Möglichkeiten, wie wir isoliert den Abschlag durch den Zugangsfaktor ausgleichen können. Zum einen können besonders langjährige Versicherte ohne Abschlag bereits zwei Jahre früher in Rente gehen, wenn sie denn mindestens 45 Versicherungsjahre vorzuweisen haben. Diese Altersrente für besonders langjährig Versicherte wird häufig »Rente mit 63« genannt, weil alle vor 1953 Geborenen mit 45 Versicherungsjahren ohne Abschläge mit 63 Jahren in Rente gehen können. Zum anderen ist es möglich, aus dem Berufsleben auszuscheiden und die gesetzliche Rente nicht sofort, sondern erst später zu beantragen, zum Beispiel, wenn das Regelalter erreicht ist. Die Konsumausgaben müssen dann in der Zwischenzeit aus dem angesparten Vermögen oder anderen Quellen wie z.B. Mieteinnahmen finanziert werden. Wichtig ist, dass bei beiden Varianten der Verlust der Rentenpunkte nicht ausgeglichen werden kann.


Wer das tun möchte, kann von der dritten Möglichkeit Gebrauch machen und zusätzlich Rentenpunkte kaufen. Die gesetzliche Rentenversicherung bietet vor dem offiziellen Rentenbeginn die Möglichkeit, eine oder mehrere Sonderzahlungen zu leisten, um so die Zahl der Rentenpunkte zu erhöhen. Solche Ausgleichszahlungen sind ab dem 50. Lebensjahr möglich, wenn man mindestens 35 Versicherungsjahre bis zum geplanten Rentenbeginn erreicht.


Möchte man beide Abschläge gleichzeitig zumindest teilweise vermeiden, gibt es als vierte Möglichkeit das Modell der Altersteilzeit im Blockmodell. Die Altersteilzeit gliedert sich dann in zwei gleich lange Phasen. In der Arbeitsphase arbeitet der Mitarbeiter weiterhin Vollzeit, erhält aber nur das bereits reduzierte Altersteilzeitgehalt. In der Freistellungsphase muss der Mitarbeiter nicht mehr arbeiten, bezieht aber weiterhin sein Altersteilzeitgehalt. Dies hat den Vorteil, dass der Mitarbeiter bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze ein (reduziertes) Gehalt erhält und somit auch weiter Entgeltpunkte sammelt.


Sie analysieren in einem Kapitel Verhaltensweisen der Renteneintrittsentscheidung. Dort führen Sie aus, dass Menschen, die stark auf die Gegenwart fixiert sind (also weniger an die kommenden Jahre denken), tendenziell früher in den Ruhestand gehen als andere. Ein Großteil derer bereue dann aber im Nachgang die Entscheidung. Welche Erkenntnis kann jeder einzelne daraus mitnehmen? So viel wie möglich ansparen? 


Genau, in einer Studie, die wir auch im Buch vorstellen, haben wir die erwartete und tatsächliche Renteneintrittsentscheidung von ca. 2000 Deutschen analysiert. Es zeigt sich, dass die Gruppe der Menschen mit der stärksten Gegenwartspräferenz mehr als zwei Jahre früher in Rente geht als Menschen mit einer schwächeren Gegenwartspräferenz.


Wie Frau Laudenbach im Buchtipp I bereits angemerkt hat, ist es erstmal prinzipiell kein Problem, wenn manche Menschen mehr oder weniger ungeduldig sind. Aber es wird schwierig, wenn die Gegenwartspräferenz zu zeitlicher Inkonsistenz führt. Hier bedeutet das, dass Menschen in jüngeren Jahren denken, dass sie später in Rente gehen als sie es dann tatsächlich tun. Je länger ich aber plane zu arbeiten, desto weniger muss ich für die Rente sparen, da ich mehr Zeit zum Sparen habe und das Ersparte für weniger Jahre reichen muss. Ändere ich aufgrund einer starken Gegenwartspräferenz meinen ursprünglich gefassten Plan, habe ich zu wenig gespart. Die Rente wird geringer ausfallen und vielleicht bereue ich dann meine Entscheidung. In unserer Studie ist das für ungefähr ein Drittel der Rentner der Fall. Sie geben an, zu früh in Rente gegangen zu sein.


Leider gibt es nicht viele Möglichkeiten, der inkonsistenten Zeitpräferenz zu entgehen, weil wir im Voraus keine bindende Entscheidung treffen können, sodass ein einmal gefasster Plan immer wieder über den Haufen geworfen werden kann. Aber wir können uns bewusstmachen, dass unser zukünftiges Ich unseren heutigen Plan gegebenenfalls nicht befolgt, und sollten deswegen zwar nicht so viel wie möglich sparen aber einen zusätzlichen Puffer für den frühen Renteneintritt in die Sparentscheidung miteinfließen lassen.


Mit dem Renteneintritt muss man sich für eine Entsparstrategie entscheiden, also für eine Auszahlungsvariante bezüglich Lebensversicherung, angespartem Kapital oder ähnliches: Rente oder Einmalzahlung. Welche psychologischen Verhaltensmuster können uns beim Entscheidungsprozess (negativ) beeinflussen?


Eine der wichtigsten Einflussgrößen auf die Wahl zwischen einer Einmalzahlung und einer Rente sollte die eigene Lebenserwartung sein. Wer die monatliche Rente wählt und lange lebt, der bekommt viel. Wer hingegen früh stirbt ist mit der Einmalzahlung besser beraten. Studien zeigen nun allerdings, dass sowohl Frauen als auch Männer ihre Lebenserwartung im Durchschnitt um rund sechs Jahre unterschätzen. Dies liegt unter anderem daran, dass wir dazu neigen, das Alter der Generation der Eltern oder Großeltern als Referenzpunkt zu nutzen. Dabei unterschätzen wir den starken Einfluss des medizinischen Fortschritts der letzten Jahrzehnte. Wir sollten daher bei der Einschätzung der Lebenserwartung nicht unbedingt nur auf unser Bauchgefühl hören, sondern statistische Daten heranziehen. Hier bietet zum Beispiel das Deutsche Institut für Altersvorsorge einen Lebenserwartungsrechner, der individuelle Faktoren wie Alkoholkonsum, Lebenssituation und Sport berücksichtigt (zu finden unter: www.wie-alt-werde-ich.de).


Ein weiterer Fallstrick, der die Entscheidung Rente oder Einmalzahlung beeinflusst, ist die Verlustaversion. Viele Menschen neigen dazu, Gewinne und Verluste unterschiedlich wahrzunehmen. Dabei werden die Verluste in der Regel stärker gewichtet: Der Ärger über den Verlust von 100 Euro ist deutlich größer als die Freude über einen Gewinn in gleicher Höhe. Wer die monatlichen Zahlungen wählt, ist irgendwann genauso alt, dass die Summe der Rentenzahlungen der Einmalzahlung entspricht. Wer früher stirbt, hat subjektiv ein Verlustgeschäft gemacht, wer älter wird, steht auf der Gewinnerseite. Für einen verlustscheuen Menschen wiegt nun jedoch die Möglichkeit, einen Verlust zu erleiden stärker als die Chance auf einen Gewinn. Die Aussicht, möglicherweise so früh zu versterben, dass die Verrentung ihm im Vergleich zur Einmalzahlung weniger bringt, macht für ihn die Einmalzahlung attraktiver. In dieser Situation könnte eine rationale Sicht auf die Dinge weiterhelfen. Fest steht, dass es zu den Verlusten nur kommt, wenn der Entscheider nach Eintritt in die Rente nicht mehr lange lebt. Und da der Verlust erst eintreten kann, wenn der Entscheider tot ist, erlebt er ihn nicht mehr, er wird höchstens durch die Antizipation des Verlustes belastet. Wirklich ausgelebt kann die Verlustaversion da gar nicht werden.


Herr Schreiber, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.


 


Philipp Schreiber ist Professor für das Fachgebiet Investition und Finanzierung an der Hochschule Esslingen. In seiner Forschung beschäftigt sich Prof. Schreiber mit den Themen Renteneintritt und Entsparstrategien im Alter. Im Besonderen widmet er sich der Frage nach dem optimalen Zeitpunkt des Renteneintritts und den Möglichkeiten zur Finanzierung der Rentenphase.


Tipp: Das Buch „Die genial einfache Vermögensstrategie“ ist im Campus Verlag erschienen und über diverse Kanäle online bestellbar.


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ARERO - Der Weltfonds (ISIN: LU0360863863)


Das DWS-Managementteam um Jens Lueckhof investiert in Aktien, Renten und Rohstoffe. Die jeweiligen Anlageklassen werden dabei über repräsentative und breit gestreute Indizes in einem einzigen Produkt abgebildet. Die Gewichtung der Anlageklassen basiert auf einem wissenschaftlich fundierten Konzept zur Vermögensanlage. Ziel ist es, ein besonders günstiges Rendite-Risiko-Verhältnis zu erreichen.



 


Wertentwicklung im Fünf-Jahreszeitraum