Die Bewältigung der Flüchtlingskrise kostet Geld für Unterkünfte, Versorgung und Organisation. Finanzielle Mittel, die die meisten europäischen Staaten nicht zur Verfügung haben. Im Nachgang der großen Finanz- und Schuldenkrise in Europa haben sich die Staaten zu harten Sparmaßnahmen und Reformen verpflichtet. Diese Austeritäts-Doktrin scheint nun endgültig an ihrem Ende angelangt zu sein. Der Krieg in Syrien und die Flüchtlingswellen, die Europa über Ungarn, Österreich, bis hin nach Deutschland erreichen, erfordern ein Umdenken.

Austerität ist auch volkswirtschaftlich umstritten. Ein strikter Sparplan dient nicht nur der Haushaltskonsolidierung. Er würgt auch Investitionen ab, die Arbeitsplätze und Innovationen hervorbringen könnten – beides wichtige Faktoren für das Wachstum einer Volkswirtschaft. Insbesondere Deutschland wurde in diesem Zusammenhang von den europäischen Nachbarstaaten in den vergangenen Jahren hart kritisiert. Der Fokus auf den Export sei ein Fehler, Stärkung der deutschen Binnenwirtschaft komme zu kurz, lautet das Argument der Kritiker.

Griechenland wird unwichtig
Die Flüchtlingskrise verschiebt die Prioritäten innerhalb der EU. Das könnte auch den sogenannten Krisenstaaten wie Griechenland neue Möglichkeiten der Finanzierung eröffnen, glaubt Finanzexperte Robert Halver (Baader Bank) im Interview mit Wirtschaft TV (siehe Video am Ende des Artikels):

„Griechenland wird nie mehr ein Thema werden, egal wie die Wahl ausgeht. Und zweitens werden wir sehen, dass die Maastricht-Kriterien außer Kraft gesetzt werden, damit die Länder Geld haben, um mit dem Flüchtlingsthema umgehen zu können.“

Auch der Sparzwang der anderen ehemaligen Krisenstaaten nimmt ab: In Portugal gibt es einen zaghaften Aufschwung, angetrieben durch das billige Geld und den niedrigen Ölpreis. Spaniens Wirtschaft soll im dritten Quartal voraussichtlich um 3,5 Prozent wachsen. Die OECD bescheinigt Irland fallende Arbeitslosigkeit und weniger Schulden. Die Wirtschaft Irlands wächst 2015 voraussichtlich um sechs Prozent. Warum also noch sparen in Europa?

EZB leitet neuen Schuldenzyklus ein
Die Maastricht-Kriterien besagen, dass Staaten jedes Jahr Neuschulden in Höhe von maximal drei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts aufnehmen dürfen. Die ersten prominenten Verletzer dieser Maßnahmen waren Frankreich und Deutschland. Die Maastricht-Kriterien der EU gelten seither eher als Richtlinie denn als harte politische Verordnung zur Eindämmung der Schulden.

Der neue Schuldenzyklus hat also bereits begonnen. Spätestens als die Europäische Zentralbank alle Schleusen geöffnet hat und Monat für Monat etwa 60 Milliarden Euro in Umlauf bringt. Weitere Maßnahmen sind Halver zufolge nicht ausgeschlossen: „Die EZB ist hier an vorderster Front, um die Anfänge einer großen politischen Krise in der Eurozone gar nicht erst aufkommen zu lassen“. Staaten und Finanzmärkte heißen die Flüchtlinge vor diesem Hintergrund willkommen.