FondsDISCOUNT.de: Herr Professor Klein, wird die Menschheit nach Corona wieder den Turbo-Gang einlegen oder nehmen wir eine kluge Weisheit mit hinüber?


Professor Dr. Christian Klein: Darüber können wir nur spekulieren, was wir Wissenschaftler ja nicht machen dürfen, zumindest nicht laut. Aber ich hoffe zumindest, dass wir mit den nun kommenden Konjunkturpaketen nicht versehentlich den Grundstein für die nächste Krise legen.


Sie forschen im Bereich „Sustainable Finance”. Wie weit ist das Thema Nachhaltige Geldanlagen aktuell in die Gesellschaft vorgedrungen? Gibt es aus Ihrer Sicht eine breite öffentliche Wahrnehmung ? Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?


Es ist schon erstaunlich und erfreulich, welche Aufmerksamkeit Nachhaltige Geldanlagen in den letzten drei Jahren bekommen haben, das hätte ich vor vier Jahren niemals zu hoffen gewagt. Im Retail-Bereich hinkt Deutschland allerdings noch hinter her, vor allem im internationalen Vergleich.


Wie ordnen Sie die Rolle von „Sustainable Finance” bei der Verwirklichung der UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) ein?


Wenn wir momentan über „Sustainable Finance“ sprechen, vor allem auf EU-Ebene, dann ist mit „Nachhaltigkeit“ vor allem „Klimawandel“ gemeint. Vielen geht das nicht weit genug. Die SDGs liefern ein sehr gutes und weit entwickeltes Set an Nachhaltigkeitszielen, es gibt momentan mehrere Projekte, wie deren Zielerreichungsgrad quantifiziert und somit objektiv gemessen werden kann. Für Investoren, die mit ihrer Geldanlage neben finanzieller Performance auch eine Nachhaltigkeitsperformance erreichen wollen, ist das eine spannende Sache.


In einer Forschungsarbeit behandeln Sie das Thema ESG-Ratings von Unternehmen. Dort regen Sie an, einen neuen Diskurs über die Vergabe von ESG-Ratings zu führen. Sollten ESG-Kennzeichen transparenter und auch genormter vermittelt werden?


Wir zeigen, dass eine Ratingagentur mit ihrem Rating in der Vergangenheit versehentlich vor allem „Unternehmensgröße“ und nicht „Nachhaltigkeit“ gemessen hat. Bitte verstehen Sie mich richtig: Wir arbeiten mit praktisch allen großen Nachhaltigkeitsratingagenturen zusammen, diese versuchen aus meiner Sicht wirklich, einen sehr guten Job zu machen. Aber das Thema „Nachhaltigkeitsmessung“ ist komplex und es ist wichtig, dass wir im kritischen und konstruktiven Dialog bleiben.


Auswertungen zufolge sind institutionelle Anleger die Treiber für das Wachstum bei Nachhaltigen Geldanlagen. Können Sie uns erklären, warum sich Privatanleger langsamer öffnen als die andere Anlegergruppe?


Wir wissen aus unserer Forschung, dass private Investoren das Thema „Nachhaltige Geldanlagen“ unglaublich wichtig und spannend finden, aber trotzdem bei ihren eigenen Investitionen nicht darauf achten. Wenn Sie diese Personen fragen, warum das so ist, bekommen Sie drei Gründe genannt: 1. Mein Berater hat mir keine Nachhaltigen Geldanlagen angeboten, 2. Ich kenne mich zu wenig aus, 3. Ich glaube, dass Nachhaltige Geldanlagen eine schlechtere finanzielle Performance haben. Punkt 3 war in der Vergangenheit falsch, 2. dürfte sich ändern, wenn nun darüber mehr berichtet wird. Aber der springende Punkt ist 1: Mit der Änderung von MiFID2 wird zeitnah jeder Berater während der Anlageberatung seinen Kunden auf das Thema „Nachhaltigkeit“ ansprechen müssen. Das könnte einen riesigen Schub geben.


In Deutschland ist das FNG-Siegel ein populäres Label für Nachhaltige Geldanlagen. Entspricht das Ihren Vorstellungen von einem unabhängigen ESG-Rating? Oder sollte es (zusätzlich) ein staatliches Label geben?


Das FNG-Label ist aus meiner Sicht ein sehr gutes, durchdachtes und unabhängiges Label. Auf EU-Ebene ist das ECO-Label in Vorbereitung, wir begleiten das. Dies wird aber, so wie es momentan aussieht, ein reines „grünes“ Label werden. Ich persönlich finde die Idee des Sustainable Finance-Beirates faszinierend, also die Einführung eines staatlichen Labels, welches für alle Finanzprodukte verpflichtend wird. Dies würde zu einer völlig neuen Dimension von Transparenz führen.


Sie forschen schon länger zum Thema „Sustainable Finance”. Gab es in der Vergangenheit auch mal Ergebnisse, die Sie überrascht haben?


Oh ja. Verblüffend ist es zum Beispiel, wie groß die individuellen Unterschiede bei der Definition von „Nachhaltigkeit“ sind. Das bedeutet: Wir alle reden von Nachhaltigkeit, jeder meint aber etwas völlig anderes. Wir haben in einer großen Studie versucht, Nachhaltigkeits-Kundengruppen zu identifizieren, also so etwas wie „Klimawandel-Kunde“, „Christlicher-Kunde“ usw. Keine Chance!


Sie beraten die Bundesregierung zu Fragen Nachhaltiger Geldanlagen. Wie schätzen Sie das bisherige Engagement der Behörden ein?


Bisher hören sie sich die Vorschläge geduldig an. Spannend wird es, wenn es die Möglichkeit der Umsetzung gibt. Wir erarbeiten momentan z.B. einen Vorschlag, wie ein Konjunkturpaket an Nachhaltigkeitszielen gekoppelt werden könnte, was aus meiner Sicht Sinn machen würde. Mal sehen, was die Politik damit machen wird.


Glauben Sie, dass die Corona-Krise dazu führen kann, dass Sustainable Finance-Themen einen neuen Push erhalten und relevanter werden?


Wir stehen definitiv gerade an einem Scheideweg. Entweder wird es in die Richtung gehen „Erst einmal die Wirtschaft retten, dann reden wir wieder über Nachhaltigkeit“. Oder wir schaffen es, beides zu verbinden. Da ich Optimist bin, glaube ich an das Zweite.


Forschen Sie aktuell zu einem bestimmten Thema? Welches ist es?


Wir beschäftigen uns momentan mit „Wirkung“ oder „Impact“. Für mich ist das die zentrale Forschungsfrage für die nächsten Jahre. Kann „Sustainable Finance“ wirklich etwas bewirken? Wird die Welt zum Beispiel tatsächlich nachhaltiger, wenn ein Retail-Kunde einen Nachhaltigen Fonds kauft? Wo müssen wir ansetzen, wenn wir wirklich Wirkung erzeugen wollen? Eine sehr spannende Frage!


Herr Professor Klein, wir bedanken uns herzlich für die Beantwortung der Fragen.


 


Prof. Dr. Christian Klein ist Professor für Unternehmensfinanzierung an der Universität Kassel und forscht auf dem Themengebiet „Sustainable Finance“. Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Nachhaltigkeitsratings und Ratingagenturen, Impact Measurement sowie Nachhaltigkeitslabels und Zertifikate. Klein ist Autor von mehr als 25 Fachveröffentlichungen in internationalen wissenschaftlichen Journals.