Pandemie, Inflation, Lieferkettenprobleme: Die ohnehin herausfordernden Zeiten für Stiftungen sind durch den russischen Überfall auf die Ukraine nicht einfacher geworden. Wie Stiftungen taktische Fehler vermeiden können, und wie sich die Vermögensanlage in Zeiten des Krieges weiterentwickeln muss erläutert Stiftungsexperte Thomas Paß.


 


Herr Paß, welche Reaktionen sehen Sie aktuell durch Pandemie, Inflation, Krieg etc. auf die Vermögensanlage von Stiftungen?


Thomas Paß: Wir können nicht von unmittelbaren Reaktionen wie Strategieänderungen oder Umschichtungen berichten. Das halten wir auch für ein ermutigendes Anzeichen von Vernunft und Vertrauen in eine durchdachte und langfristig wirksame Vermögensstruktur. Natürlich müssen Anlagestrategien auch hinsichtlich ihrer kurzfristigen Wertentwicklung bewertet werden – hier dürfte das laufende Jahr nach nur vier Monaten in den allermeisten Fällen ein klar negatives Ergebnis zeigen. In dem Kontext muss man dann zum Beispiel sehen, dass Anleihemärkte derzeit den stärksten Wertverlust der letzten vier Jahrzehnte erleben und Aktienmärkte, sehr ungewöhnlich bei drastisch steigenden Zinsen und angesichts einer definitiv gegebenen Rezessionsgefahr, sich dafür noch erstaunlich gut halten.


Sie raten also zu einer Strategie der ruhigen Hand?


Nach den Entwicklungen der letzten drei Monate jetzt noch in „defensive“ Anlagen (da bliebe auch eigentlich nur noch Kontoguthaben…) zu flüchten, birgt das Risiko, bei einer jederzeit möglichen Gegenbewegung erneut nicht rechtzeitig umzuschichten. Hinzu kommen die bilanziellen Auswirkungen. Umschichtungen im Anleiheportfolio einer Stiftung würden derzeit fast sicher zur Realisierung von hohen Kursverlusten führen, die sich eine Stiftung bilanziell erst einmal „leisten“ können muss. Wer über eine gut gepolsterte Umschichtungsrücklage verfügt, kann natürlich darüber nachdenken, die Zeit bis zum möglichen Ende eines Marktzinsanstieges oder in Erwartung eines Aktienmarktcrashs in kurzfristigen liquiden Anlagen zu überbrücken. Dennoch bleibt das Risiko eines taktischen Fehlers. Wir würden jeden Stiftungsvorstand, der angesichts der aktuell unerfreulichen Gesamtlage Angst bekommt, davor warnen, zu kapitulieren. Eine langfristige Strategie, die ungeachtet von Marktschwankungen die von der Stiftung benötigten regelmäßigen Erträgnisse erzielt, sollte man nicht wegen diffuser Angst vor einem Weltuntergangsszenario opfern.


Welche Auswirkungen auf die Vermögensanlage von Stiftungen erwarten Sie mittel- und langfristig? Zeichnet sich bereits jetzt eine bestimmte Entwicklung ab?


Auch wir können nur mit Annahmen und Wahrscheinlichkeiten für die mittel- bis langfristigen Entwicklungen arbeiten. Für recht wahrscheinlich halten wir zum Beispiel, dass wir einen Wendepunkt beim Thema Inflation erlebt haben. Das heißt, wir gehen davon aus, dass Stiftungen „Inflation“ – in den letzten 20 Jahren in Europa kein echtes Thema, eher Angst vor Deflation – zukünftig in ihre strategischen Überlegungen mit einbeziehen müssen. Das trifft einerseits den Bereich der Vermögensanlage (Achten Sie auf den realen Zins, also Nominalzins minus zukünftiger Inflationsrate) aber auch auf den Stiftungshaushalt (Kosten bei Förderprojekten, Sach- und Personalkosten) zu. Anlageformen mit einem „intrinsischen Inflationsschutz“, also Sachwertanlagen wie Mietimmobilien oder bestimmte Aktien („Value“), aber auch Wertaufbewahrungsmittel wie Gold, sind zukünftig entscheidend. Auch über die Gewichtung der verschiedenen Anlageformen gilt es gründlich nachzudenken. Hieß es früher oft einfach „70 Prozent Anleihen / 30 Prozent Aktien“, würden wir das heute eher mit „70 Prozent Aktien und Immobilien / 20 Prozent Anleihen / 10 Prozent Edelmetale“ als sinnvolle Grundstruktur beschreiben. Dazu ist ein vorausschauendes Risikomanagement unerlässlich. Dies sollte zum Beispiel angesichts der schon seit längerem zu beobachtenden negativen realen Renditen von Anleihen dafür gesorgt haben, dass die Zinsabhängigkeit im Stiftungsportfolio bereits deutlich reduziert wurde.


Lässt sich aus ihrer Beobachtung heraus sagen, dass sich - wo umgesetzt - die ESG-/SDG-Ausrichtung bei der Fondsanlage bewährt hat, weil Stiftungen geringere Rückgänge zu verkraften hatten?


Nach unserer Beobachtung gibt es in der aktuellen Situation keine erwähnenswerten Unterschiede. Wir denken aber auch nicht, dass Fondsanlagen, die ESG-Kriterien tatsächlich systematisch und ehrlich berücksichtigen, auf eine relativ kurze Sicht in ihrer Wirksamkeit beurteilt werden sollten. Dazu kommt, dass der Schutz gegen kurzfristige Marktrückgänge nicht zur Zielstellung an eine ESG-Strategie gehört, denn das wird sie nicht leisten können.


Wird es zu einer Weiterentwicklung von ESG-Kriterien kommen? Z.B. über die bereits diskutierten Argumente pro/contra Atomkraft auch für die Bereiche Rohstoffe, Rüstung oder weitere?


Die aktuelle Diskussion über die Nachhaltigkeit von Atomkraft und der Grund, warum dies plötzlich überhaupt stattfindet, zeigt ja, dass es sich um einen fortwährenden Prozess und nicht um einen einmaligen und danach abgeschlossenen Vorgang handelt. Was heute als nachhaltig anerkannt ist und im Hinblick auf einzelne ESG-Kriterien als zielführend gilt, kann morgen im Lichte noch völlig unbekannter Entwicklungen und Ereignisse schon eine komplett andere Bewertung bekommen. Forschungsergebnisse, technischer Fortschritt, Zwangslagen aus geopolitischen Ereignissen oder Naturkatastrophen sind alles denkbare Auslöser für ein sich veränderndes Nachhaltigkeitsbild.


Führt die aktuelle Lage dazu, dass Stiftungen (endlich) Anlagerichtlinien aufstellen bzw. aktualisieren, auch um mehr Flexibilität zu erreichen? Sehen Sie hier in den vergangenen Monaten Fortschritte?


Wir haben vor mehr als zwei Jahren damit begonnen, mit Stiftungen über ihre Anlagerichtlinien zu sprechen, mit dem Ziel deutlich mehr Flexibilität in Richtung Aktienquoten und für Alternative Strategien zu schaffen. In dem Wissen, dass Entscheidungen dieser Art bei Stiftungen oft eine gewisse Zeit brauchen um zu reifen und dann getroffen zu werden, haben wir die finanzielle Repression (Nullzinspolitik) und die Auswirkungen auf die Ertragsentwicklung von zinslastigen Anlagestrategien, so wie sie von Stiftungen lange bevorzugt wurden, thematisiert. In einer Reihe von Fällen hat dies auch dazu geführt, dass Anlagerichtlinien geändert wurden und dadurch für die Portfoliostruktur deutlich höhere Grenzen für Aktienanlagen und Alternative Investments möglich wurden. Stiftungen, die erst heute über neue / veränderte Anlagerichtlinien nachdenken, sollten vor allem „nach vorne“ denken, d.h. sich nicht von alten Gewohnheiten oder Regeln leiten lassen. Möglichst große Spielräume und Flexibilität beim Einsatz auch von neuartigen Anlageinstrumenten und –ideen helfen bei der Anpassung an zukünftige Erfordernisse sehr.


 


Sehr geehrter Herr Paß, vielen Dank für das interessante Gespräch.


 


Zum Autor: Dieses Interview wurde von Stefan Preuß im Auftrag von www.stiftungsmarktplatz.eu geführt. Er ist freier Autor, spezialisiert unter anderem auf das Segment Stiftungsfonds und stiftungsgeeignete Fonds. Er fungiert zudem als Redaktioneller Leiter für die FondsFibel für Stiftungen & NPOs (www.fondsfibel.de).