FondsDISCOUNT.de: Frau Professor Sachse, im Zuge der Pandemie ist das eingetreten, was Kapitalmarktexperten schon lange fordern: Immer mehr Menschen strömen an die Börse. Laut Deutschem Aktieninstitut gab es zuletzt nur während des Börsenbooms im Jahr 2001 mehr Aktionäre. Was steckt Ihrer Einschätzung nach hinter dieser Euphorie?


Katharina Sachse: Das hat sicher mehrere Gründe. Der Dax und andere Indizes sind zu Beginn der Pandemie vor einem Jahr in kurzer Zeit stark gefallen und stiegen danach schnell wieder an. Das war für viele eine Gelegenheit, günstiger einzusteigen als in den Zeiten zuvor. Außerdem sind in der näheren Vergangenheit verschiedene Anbieter auf dem Markt erschienen, die massiv damit werben, wie einfach eine Investition in Aktien mit ihren Apps ist. Das spricht vermutlich v.a. jüngere Personen an, die bisher kaum oder gar nicht in Aktien investiert haben. Es wurden also neue Zielgruppen gewonnen.


Neu ist sicherlich, dass auch soziale Netzwerke mittlerweile eine nicht zu vernachlässigende Marktmacht generieren – das Beispiel Gamestop hat dies deutlich gemacht. Wie bewerten Sie diese Vorgänge? Was treibt Anleger dazu an, sich auf Postings in einem Forum zu verlassen und reales Geld zu verzocken?


Soziale Medien können den Herdentrieb verstärken, also ein Verhalten, das an den Börsen schon immer wirksam war. Anlegerinnen und Anleger orientieren sich am Verhalten anderer und folgen deren Entscheidungen, was am Ende zu Spekulationsblasen führen kann. In den sozialen Medien sind „die Anderen“ Menschen, die etwas mit mir gemeinsam haben. Ich kenne sie entweder persönlich oder folge ihren Postings, weil ich diese Personen mag. Wenn diese Personen nun Produkte empfehlen, bin ich eher bereit, dieser Empfehlung zu folgen. Hinzu kommt, dass wir uns in sozialen Medien in der Regel in sogenannten Filterblasen bewegen: Ich sehe vor allem Meldungen, die meinen Vorlieben bzw. meiner Meinung entsprechen. Widersprüchliche Informationen werden mir weniger oder gar nicht angezeigt, so dass ich denke, es gibt nur diese eine Position. Das kann dazu führen, dass mögliche Zweifel ausgeblendet und Aktien aufgrund einseitiger Informationen gekauft werden.


Gerade die Deutschen haben ihr Geld traditionell eher aufs Sparbuch getragen und standen Aktien und anderen Anlageprodukten eher zurückhaltend gegenüber. Woher kommt die neue Lust auf Risiko?


Ob es wirklich die neue Lust auf Risiko ist, kann ich nicht beurteilen. Dazu bräuchte es Studien zu den Gründen des Anlageverhaltens. Es kann auch schlicht am Mangel an Alternativen durch die jahrelange Niedrigzinspolitik liegen. Für die risikolosen Sparformen gibt es keine Zinsen mehr, also suchen sich Anleger und Anlegerinnen andere Möglichkeiten, wenn sie Rendite machen möchten. Und gerade für junge Menschen sind Aktien und Fonds nahezu die einzige Möglichkeit, etwas Vermögen für die Altersvorsorge aufzubauen. Bei langfristigen Investments ist dann auch das Risiko vergleichsweise gering. 


Inwiefern hat die Corona-Pandemie hier Vorschub geleistet? Wir alle erinnern uns an den ersten Lockdown, als viele Menschen sogar Dinge des täglichen Bedarfs in irrationalen Mengen gehortet haben. Dies deutete ja eher darauf hin, dass versucht wurde, eine angstmachende Situation kontrollieren zu wollen, man also gerade kein Risiko eingehen wollte.


Das Horten von Toilettenpapier würde ich nicht unbedingt auf die Risikovermeidung zurückführen, sondern eher auf den eben schon erwähnten Herdentrieb. Wenn ich sehe, dass alle anderen aus Angst vor einem Mangel Vorräte anlegen, dann mache ich das wohl besser auch. Das führte zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung – der Mangel trat tatsächlich ein. Aber nicht, weil es nicht genügend Toilettenpapier für alle gab, sondern weil das Konsumverhalten irrational war. Wie schon erwähnt, lassen sich Phänomene am Aktienmarkt ebenfalls durch den Herdentrieb erklären. Wenn plötzlich viel mehr Menschen Aktien kaufen, kann es daran liegen, dass sie andere nachahmen, die das vor ihnen getan haben. Das führt zu steigenden Kursen und dazu, dass noch mehr Menschen in Aktien investieren und davon profitieren wollen. 


Aufgrund der steigenden Märkte hat sich das Engagement an den Finanzmärkten bislang gelohnt. Gerade für Börseneinsteiger könnte sich daraus ein Gefühl trügerischer Sicherheit entwickeln – auch wenn es kurzzeitig kleine Korrekturen gab, ging es schnell wieder bergauf. Wie kann man für sich ein gesundes Risikobewusstsein entwickeln?


Grundsätzlich sollte man sich bei der Investition in Aktien bewusst machen, dass die Kurse fallen und damit Verluste eintreten können. Dieses Risiko kann gemindert werden, indem nicht nur selektiv Einzelaktien gekauft werden, sondern das Investment gestreut wird, z.B. mittels Indexfonds. Dann können die Gewinne in einem Bereich die Verluste in einem anderen ausgleichen. Zudem sollte man sich überlegen, für welchen Zeitraum das Geld investiert werden soll. Wenn ich langfristig investieren kann, bin ich nicht darauf angewiesen, die Aktien zu einem Zeitpunkt zu verkaufen, an dem die Kurse schlecht stehen. Im historischen Verlauf sind Aktienindizes bisher immer gestiegen. Wenn ich jedoch kurzfristig „zocken“ möchte, dann sollte ich schon eine gewisse Risikobereitschaft mitbringen. Wenn ich mich beim Gedanken an einen drohenden Verlust total unwohl fühle, würde ich die Finger vom Spekulieren lassen. Schließlich kommt es nicht nur auf mögliche finanzielle Gewinne an, sondern auch darauf, mit der Finanzentscheidung gut schlafen zu können.


Und wie geht man dann mit eventuell eintretenden Verlusten um?


Wie eben erwähnt ist es gut, wenn ich nicht in Verlustphasen gezwungen bin zu veräußern. Daher würde ich empfehlen, niemals das gesamte Ersparte in volatile Anlageformen zu investieren. Wenn das investierte Geld aktuell nicht benötigt wird, sollte man nicht zu oft die Kurse verfolgen. Denn dann würde man jedes Auf und vor allem jedes Ab sehen. Da Verluste subjektiv schwerer wiegen als Gewinne gleicher Höhe, führt dies zu einem Missbehagen, selbst wenn in Summe gar kein Verlust eintritt.


Frau Professor Sachse, vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen!