FondsDISCOUNT.de: Im Dezember hat das Bundesverfassungsgericht das Erbschaftsteuergesetz teilweise für verfassungswidrig erklärt. Worauf zielt das Urteil ab?

Martin Liebernickel: Das Bundesverfassungsgericht hat den Erwartungen in der Fachwelt entsprechend die aktuelle Begünstigung von Betriebsvermögen bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer in Teilen für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt und dem Gesetzgeber aufgegeben, bis spätestens zum 30. Juni 2016 eine Neuregelung zu treffen. Zum Hintergrund: Die derzeitigen Regeln sehen unter bestimmten Voraussetzungen erhebliche Steuerfreistellungen von 85 Prozent oder sogar 100 Prozent des Unternehmenswertes vor. Eine positive Nachricht für Familienunternehmen und deren Inhaber ist zunächst, dass das Bundesverfassungsgericht die erbschaftsteuerliche Begünstigung von Betriebsvermögen nicht vollständig für unverhältnismäßig hält, sondern nur Teile der bisher geltenden Regelungen. Bei der gesetzlichen Neuregelung gewährt der erkennende Senat dem Gesetzgeber zudem einen weiten Ermessensspielraum.

Welche möglichen Folgen hat das Urteil auf die Vererbung geschlossener Fonds?


Claudia Klümpen-Neusel: Geschlossene Fonds werden üblicherweise in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft (KG) errichtet. Teilweise sind diese aus deutscher steuerlicher Sicht als gewerblich (d.h. betriebliches Vermögen), zum Teil aber auch als vermögensverwaltend (d.h. Privatvermögen) zu qualifizieren. Ganz selten findet man auch Fonds in der Rechtsform einer GmbH. Eine GmbH verfügt per gesetzlicher Definition ausschließlich über Betriebsvermögen. Ist der Anteileigner zu mehr als 25 Prozent an einer GmbH beteiligt, kann er derzeit die erbschaft- und schenkungsteuerlichen Vergünstigungen für Betriebsvermögen nutzen. Liegt seine Beteiligungsquote darunter, werden die Anteile bei ihm wie sonstiges „privates“ Vermögen behandelt, das grundsätzlich steuerlich nicht begünstigt wird. Nur bei den gewerblichen Fonds (gewerbliche KG oder Anteile von mehr als 25 Prozent an einer GmbH) liegt Betriebsvermögen vor. Folglich werden aller Wahrscheinlichkeit nach auch nur diese von den anstehenden Änderungen des Erbschaftsteuergesetzes betroffen sein.

Was heißt das konkret?

Martin Liebernickel: Die Verfassungswidrigkeit des derzeit geltenden Rechts betrifft zunächst nur die übermäßigen Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen (§§ 13a, 13b ErbStG). Diese Verfassungswidrigkeit stellt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts allerdings „die lastengerechte Erhebung der Erbschaftsteuer im Übrigen ebenfalls in Frage“. Insgesamt wird damit jeglicher Besteuerung nach dem Erbschaftsteuergesetz die Grundlage entzogen. Das bedeutet, dass derzeit grundsätzlich auch die Besteuerung unentgeltlicher Übertragungen von privatem Vermögen aus verfassungsrechtlicher Sicht fraglich ist. Sobald der Gesetzgeber jedoch ein tragfähiges Besteuerungskonzept für die Übertragung von betrieblichem Vermögen vorlegt, steht einer Besteuerung anderen Vermögens nach den derzeitigen Regeln nichts mehr im Wege. Da ersten Verlautbarungen aus der Politik die Absicht des Gesetzgebers zu entnehmen ist, das derzeitige Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz nur soweit zu ändern, wie es zur Herstellung eines verfassungskonformen Zustandes zwingend nötig ist, sind momentan keine Auswirkungen auf die steuerlichen Rahmenbedingungen für die Übertragung von privatem nicht betrieblichem Vermögen zu erwarten.

Mit welchen Änderungen ist bei der Vererbung von Immobilienbeteiligungen, die ja bei deutschen Anlegern besonders beliebt sind, zu rechnen?

Claudia Klümpen-Neusel: Was für geschlossene Fonds im Allgemeinen gilt, gilt gleichermaßen für Immobilienfonds im Speziellen: Sind Immobilienfonds als gewerbliche Fonds strukturiert, werden unentgeltliche Zuwendungen künftig nach anderen Regeln besteuert als bisher; sind sie als vermögensverwaltende Fonds konzipiert, wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach nichts oder nur sehr wenig ändern. Dies lässt sich jedoch erst abschätzen, wenn die ersten Gesetzesentwürfe veröffentlicht werden.

Macht es einen Unterschied, ob der Anleger unmittelbarer Kommanditist ist oder sich über einen Treuhänder mittelbar an der Gesellschaft beteiligt?
Martin Liebernickel: Nein. Nach den Erlassen des Finanzministeriums Bayern aus dem Jahr 2010 und des Bayerischen Landesamtes für Steuern aus dem Jahr 2013 richtet sich die steuerliche Behandlung der Übertragung eines treuhänderisch gehaltenen Vermögensgegenstandes oder Rechts durch den Treugeber nach den gleichen Regeln wie die unmittelbare Übertragung des Treugutes, das dem Treuhandverhältnis zu Grunde liegt. Für erbschaft- und schenkungsteuerliche Übertragungen ist es also grundsätzlich irrelevant, ob der Anleger unmittelbar oder über einen Treuhänder an einem Fonds oder einer Gesellschaft beteiligt ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Regierung beauftragt, bis spätestens zum 30. Juni 2016 ein neues Erbschaftsteuerrecht zu schaffen. Könnte es sich für Anleger, die über eine Übertragung ihres Anteils nachdenken, also lohnen, die Schenkung vorzuziehen?
Claudia Klümpen-Neusel: Zwar hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine großzügige Frist zur Neuregelung bis zum 30. Juni 2016 gesetzt. Zugleich hat es aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Neuregelung unter bestimmten Umständen rückwirkend möglich ist. Der Gesetzgeber kann also ab dem Tag der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – dem 17. Dezember 2014 – neues Recht zur Anwendung kommen lassen. Dies könnte er beispielsweise tun, um eine exzessive Ausnutzung der bisherigen Begünstigungsnormen zu vermeiden. Laut ersten Bekundungen aus der Politik, will der Gesetzgeber hiervon aber keinen Gebrauch machen. Letztendlich wird man aber abwarten müssen, bis erste Gesetzesentwürfe auf dem Tisch liegen. Darüber hinaus ist es denkbar, dass der Gesetzgeber die Frist bis zum 30. Juni 2016 nicht ausschöpft, sondern bereits vorher ein geändertes Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz auf den Weg bringt. Eine absolute Rechtsicherheit der Fortgeltung des bisherigen Rechts bis zum Stichtag 30. Juni 2016, ja sogar bis zur Verkündung des neuen Gesetzes besteht daher nicht. Bei der Übertragung von Betriebsvermögen zu Lebzeiten sollte deshalb vertraglich sichergestellt werden, dass der Schenker die Schenkung notfalls widerrufen kann, wenn für diese bereits neues Recht angewendet werden sollte.

Wir bedanken uns für das ausführliche Gespräch!