FondsDISCOUNT.de: Herr Professor Fendel, im September hat die EZB den Leitzins auf 0,05 Prozent gesenkt. Bei den anderen großen Notenbanken der Welt sieht es ähnlich aus. Müssen wir uns für die Zukunft an eine praktisch zinsfreie Welt gewöhnen?
Ralf Fendel: Für mich ist dies eine außergewöhnliche Zinsphase, die sicherlich noch etwas anhalten wird. Schon allein die Tatsache, dass Zentralbanken traditionell ihre Leitzinsen nie abrupt in großen Schritten ändern, sondern eher graduell in kleineren aufeinanderfolgenden Schritten anpassen (sogenanntes Zins-Smoothing), impliziert ein eher niedriges Zinsniveau über die nächsten Jahre. Anleger und vor allem Schuldner – etwa im Rahmen von Immobilien- und Hypothekenkrediten – sollten aber keinesfalls von einer zukünftig „zinsfreien Welt“ ausgehen. Für das Ende ihrer Zinsbindung sollten Darlehensnehmer eher damit rechnen, dass das Zinsniveau dann wieder normal sein wird. Ich sehe keine ökonomischen Gründe, warum uns eine „zinsfreie Welt“ bevorstehen sollte.

Die Zinsen sind jetzt schon sehr lange niedrig. Trotzdem kommt die Kreditvergabe an Unternehmen nicht richtig in Gang. Deshalb hat die EZB das erste Mal in der Geschichte des Euro einen Strafzins festgelegt, wenn Banken ihr Geld kurzfristig bei der EZB parken. Ein richtiger Schritt?
Für mich war es ein logischer und auch folgerichtiger Schritt, aber es war von vornherein klar, dass es wahrscheinlich nicht viel bringen wird. Die Erfahrungen der Vergangenheit mit dieser Maßnahme – etwa in Dänemark – ließen dies erwarten. Denn sie haben gezeigt, dass die Banken die entstehenden Kosten auf die Kunden übertragen – und genau das ist ja nun auch in Einzelfällen wieder passiert. Deshalb war die Kritik auch zu erwarten. Aber andersherum gedacht: Wenn es die EZB nicht versucht hätte, würden ihr dieselben Kritiker das ebenso vorwerfen. „EZB-Bashing“ ist derzeit stark in Mode. Dennoch ist zu bedenken, dass die EZB nicht alleine in der Lage ist, die Krise zu meistern. Die wirklichen Impulse müssen von der Politik in Form von ernsthaften Strukturreformen kommen. Die EZB hat den Politikern lediglich Zeit erkauft.

Welche weiteren Maßnahmen plant die EZB? Und halten Sie diese für sinnvoll?
Gerüchteweise ist der Ankauf von Unternehmensanleihen im Gespräch. Dies kann ich mir durchaus vorstellen, denn es wäre eine zielgerichtete Maßnahme. Schließlich wünscht sich die EZB ja, dass die Liquidität, die für den Bankensektor geschaffen wurde, in den Unternehmenssektor weitergeleitet wird. Mit dem gezielten Ankauf von Unternehmensanleihen könnte die EZB dies weitgehend ohne die Hilfe der Geschäftsbanken erreichen. Allerdings stellt sich das große Problem, welche Anleihen aufzukaufen wären. Das Volumen dieser Märkte erlaubt eigentlich keinen Eingriff der EZB, der nicht zu unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen unter den Unternehmen führt.
Als weitere Waffe bleibt der massenhafte Ankauf von Staatsanleihen und damit die Aufblähung der EZB-Bilanz, deren Umfang im Übrigen durch den Rückfluss von Liquidität aus dem Bankensektor zurück in die EZB seit geraumer Zeit stetig abnimmt.

Welche Folgen haben die EZB-Maßnahmen für die Sparer?
Natürlich sind niedrige Zinsen nicht gut für den Sparer, aber bei nahezu Nullinflation ergibt sich zumindest auch kein signifikant negativer Realzins. Sparen etwa zur Altersvorsorge ist und bleibt trotzdem wichtig und erforderlich, denn nicht nur die Verzinsung, sondern allein das Vorhandensein von Ersparnissen oder eines bescheidenden Vermögens ist ein Wert an sich, der dann bei wieder steigendem Zinsniveau auch höhere Erträge abwirft.

Seit Ende Oktober verlangt die erste Bank in Deutschland auch einen Strafzins für Ersparnisse von Privatkunden. Bislang sind nur vermögende Kunden mit einer Einlage über 500.000 Euro betroffen. Glauben Sie, dass hier ein neuer Trend entsteht und bald auch Durchschnittssparer vom Negativzins betroffen sein könnten?
Ich denke, dass es nicht bei diesem einen Fall bleiben wird. Andererseits bin ich überzeugt, dass es kein allgemeiner Trend werden wird, der den Durchschnittssparer mit eher bescheidenen Kontoguthaben erreicht. Derartige Schritte werden sich die Banken unabhängig von Kostenargumenten sehr gut überlegen müssen, denn es ist ein irreparabler Vertrauensverlust gegenüber den Kunden, den eine Geschäftsbank riskiert, wenn sie flächendeckende Strafzinsen für ihre Kunden erhebt. Daher haben einige Banken ja schon öffentlich einen derartigen Schritt kategorisch ausgeschlossen. Dennoch erwarte ich eher eine „versteckte Überwälzung“ der negativen EZB-Einlagezinsen auf den Bankkunden, etwa in Form höherer Gebühren.
Sollte die Strafzinsen doch wie einige Analysten erwarten ein Modell sein, das Schule macht, würde die EZB sicherlich umgehend zurückrudern. Denn dies bedeutet, dass der negative EZB-Einlagenzins nicht die gewünschte Wirkung im Geschäftsbankensektor zeigt und im Gegenteil nur das Sparverhalten der Bürger negativ beeinflusst. Dies kann nicht im Interesse der EZB sein. Warnende Rufe aus der Bundesbank haben ja hier schon entsprechende Argumentationslinien – auch für die Diskussion innerhalb des EZB-Rates – aufgebaut.

Die Deutschen gelten als äußerst vorsichtige Anleger. Die Aktionärsquote lag 2013 bei gerade einmal 13,8 Prozent. Ist die Angst vor Aktien und Aktienfonds begründet?
Nein, diese Angst ist nicht berechtigt und teilweise irrational. Aber jeder Anleger sollte prüfen, ob eine Aktienanlage zu seinem Investitionshorizont passt. Es ist nach wie vor keine Anlage für eine kurzfristige Orientierung.

Nach einem Allzeit-Hoch von über 10.000 Punkten ist der DAX zuletzt deutlich gefallen. Ein guter Einstiegszeitpunkt oder halten Sie weitere Kurskorrekturen für wahrscheinlich?
Auf dem Aktienmarkt ist weiterhin eine erhöhte Volatilität zu erwarten. Dies schon allein wegen der vielfältigen weltweiten politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten, die noch eher zunehmen werden. Die Börsen werden hier auf jede Veränderung sensibel reagieren. Darüber sollten sich Anleger bewusst sein. Abseits der erhöhten Volatilität sehe ich keinen Grund für eine fundamentale Kurskorrektur.

Welche Alternativen bieten sich den Anlegern neben Aktieninvestments?
Auf der Suche nach höheren Renditen, auch etwa auf dem Anleihenmarkt, bietet sich meines Erachtens die Internationalisierung des Portfolios an. Anleger sollten also etwas mehr ihre Scheu ablegen und sich auf dem internationalen respektive außereuropäischen Kapitalmarkt umschauen. Bisher verbinden die Anleger mit Fremdwährungsanlagen ausschließlich höheres Risiko und nicht so sehr höhere Renditen. Währungsrisiken lassen sich aber absichern und es lohnt sich durchaus, einen prüfenden Blick etwa auf Staatsanleihen von wirtschaftlich gesunden Staaten zu legen. Japanische Anleger, die schon seit einem Jahrzehnt mit niedrigen heimischen Renditen leben, haben mit dieser Strategie durchaus gute Erfahrungen gemacht.

Herr Professor Fendel, vielen Dank für das informative Gespräch!