FondsDISCOUNT.de: Herr Röhl, Sie sind einer der bekanntesten Finanz- und Dividendenexperten Deutschlands. Worauf sollten Anleger, die sich ein Dividendenportfolio aufbauen wollen, achten?


Christian W. Röhl: Gegenfrage: Was ist denn ein „Dividendenportfolio“? Wenn es nur darum geht, regelmäßige Erträge zu erhalten, tut es ja auch schon ein ausschüttender, global investierender Investmentfonds oder ETF auf einen Index wie den MSCI World oder den FTSE All-World. Denn mehr als drei Viertel der darin enthaltenen Unternehmen schütten aus und man hat automatisch eine breite Diversifikation.


Wer lieber einzelne Aktien kauft, kann Dividenden natürlich auch als Merkmal für Qualität und Resilienz ansehen: Unternehmen, die es über mehrere Wirtschaftszyklen geschafft haben, ihre Dividende kontinuierlich anzuheben, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit über funktionierende Geschäftsmodelle verfügen – sowie über die Ressourcen und Strukturen, sich permanent neu zu erfinden.


Egal ob Fonds oder Aktien, eines ist aber ganz wichtig: bei der Renditeerwartung realistisch bleiben. Auf Index-Ebene sind zwei bis drei Prozent aktuelle Dividendenrendite eine rationale Zielvorstellung. Wer signifikant höhere Ausschüttungsrenditen anpeilt, bezahlt diese oft mit Einbußen bei der Kursentwicklung – sprich, die kurzfristige Optimierung des mit der Dividende verbundenen „Belohnungseffekts“ geht zu Lasten des langfristigen Gesamtertrags.


Die 40 DAX-Unternehmen haben 2022 circa 50 Milliarden Euro Dividenden ausgeschüttet – rund 47 Prozent mehr als 2021. Hatte die Corona-Pandemie kaum Auswirkungen auf die deutschen DAX-Konzerne?


Sicherlich nicht in dem Umfang, wie man 2020 zunächst befürchtet hatte – nicht zuletzt dank Kurzarbeitergeld oder anderer staatlicher Hilfen. Dennoch waren die deutschen Börsenfirmen mit ihren Gewinnverwendungsvorschlägen eher vorsichtig, auch weil wir im Frühjahr 2021 noch im Lockdown gesteckt haben. Aber glücklicherweise hat sich die Situation ja dann entspannt und 2022 waren viele Konzerne dann wieder zuversichtlich genug, um quasi das „nachzuzahlen“, was man 2020/21 zurückgehalten hatte.


Wie bewerten Sie selbst das Jahr 2022 aus Börsensicht und was erwarten Sie im Börsen- und Dividendenjahr 2023?


Gemessen an den Rahmenbedingungen – Überfall Russlands auf die Ukraine, Lieferketten-Disruption durch die chinesische Zero-Covid-Politik, zweistellige Inflationsraten, rasanter Zinsanstieg – sind wir an den Börsen ziemlich glimpflich davongekommen: Wer nicht allzu einseitig auf Tech-Aktien und Small Caps fokussiert ist, sondern über ein geografisch und sektoral breit diversifiziertes Depot verfügt, wird per ultimo 2022 vielleicht um die zehn Prozent im Minus gelegen haben.


Nach vorne wird’s natürlich schwieriger. Die große Frage ist: Berücksichtigen die Gewinnerwartungen bereits in angemessenem Umfang die Rezession, die wohl auf beiden Seiten des Atlantiks kommen wird? Falls nicht, droht an den Börsen einiges Ungemach!


Ich denke momentan oft an das Jahr 2001. Erst der Crash der New Economy, dann die furchtbaren Anschläge vom 11. September. Aber zum Jahresende ging es dann wieder um 40 Prozent nach oben – und viele Investoren haben erleichtert durchgeatmet und gedacht: „Das war’s“. Aber Pustekuchen, dann kam die Rezession und der DAX hat sich mehr als halbiert.


Wohlgemerkt keine Crash-Orakelei, nur die Erinnerung an das, was der große André Kostolany uns gelehrt hat: „An der Börse ist alles möglich – auch das Gegenteil.“


Welche Sektoren und Assetklassen könnten 2023 zu den Gewinnern gehören?


Keine Ahnung. Ist mir aber auch egal. Ich sehe meine Aufgabe als Investor nicht darin zu raten, was innerhalb eines willkürlich gewählten Zeitraums von zwölf Monaten entsprechend 365 Tagen an der Börse gut oder schlecht laufen könnte. Stattdessen will ich mein Vermögen so aufgestellt wissen, dass mir alle halbwegs validen Szenarien nicht den Schlaf rauben – und das hat wenig mit Prognosen und viel mit Risikostreuung sowie, wenn es dann ans regelmäßige Rebalancing geht, mit Disziplin zu tun.


Woran erkennt man gute Dividendenfonds?


Genau wie gute andere Fonds an einem klaren strategischen Fokus – und daran, dass die daraus resultierenden Ziele langfristig erreicht werden. Wenn man sich regelmäßige Ausschüttungen von fünf Prozent p. a. auf die Fahne schreibt und gleichzeitig den Fondspreis stabil hält, ist das eine runde Sache. Wer hingegen als Fondsmanager oder ETF-Anbieter eine globale Qualitätsaktien-Strategie verfolgt und dabei Dividenden als Merkmal nutzt, muss sich durchaus an einer Benchmark messen lassen.


Wichtig in jedem Fall: Sicherstellen, dass im Fonds wirklich das drin ist, was versprochen wird. Deshalb unbedingt die monatlichen Factsheets sowie die halbjährlichen Rechenschaftsberichte lesen.


Ich persönlich mag darüber hinaus, wenn Fondsmanager (oder bei ETFs auch Index-Initiatoren) aktiv kommunizieren, Anlageentscheidungen erklären und auch mal über das sprechen bzw. schreiben, was nicht optimal gelaufen ist. 


Muss man als Anleger aktuell auf ESG-Kriterien verzichten, um die höchsten Dividenden zu kassieren – oder gibt es auch nachhaltig agierende Dividendenzahler?


Erstens: „Die höchsten Dividenden kassieren“ ist eine süße Versuchung, aber noch mal – die kurzfristige Optimierung der Ausschüttungsrendite geht oft zulasten des langfristigen Gesamtertrages. Insofern Vorsicht.


Und zweitens: Es gibt keinen wie auch immer gearteten Zusammenhang zwischen ESG-Kriterien und Dividende. Der MSCI World Index weist mit 2,65 Prozent exakt dieselbe Dividendenrendite auf wie der mit relativ strengen Nachhaltigkeitskriterien unterlegte MSCI World SRI Index.


Abgesehen davon ist es ja eine Definitionsfrage, was „nachhaltig“ ist. Da glaubten wir ja lange Zeit einen sehr klaren Kompass zu haben, der aber jetzt von der Wirklichkeit etwas nachjustiert wird. Rüstungsaktien etwa – zumeist sehr ordentliche Dividendenzahler übrigens – fliegen in ESG-Rankings zuallererst raus. Aber ohne US-amerikanische Waffenlieferungen wäre die Ukraine von Russland überrannt worden.


Oder nehmen wir die Zement-Industrie. Eine unglaublich CO2-intensive Produktion – sodass, wer den CO2-Fußbabdruck seines Portfolios eingrenzen will, auf keinen Fall HeidelbergCement oder Holcim halten darf. Aber gleichzeitig sind das genau die Unternehmen, die eine stabile Investorenbasis brauchen, um die grüne Transformation zu stemmen und damit einen sehr wesentlichen Beitrag zu den Klimazielen zu liefern.


Verraten Sie uns, was derzeit die Top-Positionen in Ihrem persönlichen Portfolio sind?


Apple, Microsoft und auf Rang 3 ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Luxusgüter-Konzern LVMH und dem norwegischen Öl- und Gas-Produzenten Equinor.


Herr Röhl, herzlichen Dank für das Interview!


Christian W. Röhl ist seit über 25 Jahren professionell an den Finanzmärkten aktiv, verwaltet heute vor allem sein eigenes Vermögen – und teilt seine Erfahrungen. Etwa auf dem YouTube-Kanal echtgeld.tv, im Podcast „Aktien fürs Leben“, auf Instagram und Twitter sowie in Vorträgen und Workshops für Banken und Privatinvestoren. Darüber hinaus ist er Stimmrechtsvertreter und HV-Sprecher für die DSW Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e. V. sowie Beiratsvorsitzender am isf Institute for Strategic Finance der FOM Hochschule.


Website: www.cwroehl.com