Jetzt müssten sie gleich kommen“, ruft Stefan Dürr. Der 48-Jährige steht auf der Stoßstange seines Nissan-Geländewagens, hält schützend die Hand über die Augen und starrt in die Weite der sibirischen Landschaft. Bis zum Horizont reichen die Weizenfelder, durchbrochen nur von wie hingestreut wirkenden Birkenwäldchen. Leises Brummen, das schnell lauter wird, kündigt an, worauf Dürr wartet: Fünf große grüne Mähdrescher pflügen den Hügel herauf, fressen das stehende Getreide in sich hinein und spucken mit einer gewaltigen Staubwolke Spreu und Stroh hinter sich aus. Die neuen Maschinen der Marke John Deere sind nicht der einzige Stolz von Stefan Dürr hier im Gebiet von Masljanino, einer Kleinstadt rund 200 Kilometer südöstlich der Provinzhauptstadt Novosibirsk. Auf rund 37 000 Hektar baut Ekosem, das Agrarunternehmen, das der Deutsche vor fast 20 Jahren in Russland gründete, Getreide und Futterpflanzen an. Beste Nahrung für die bald 7000 Rinder, die Dürrs 625 Mitarbeiter in Masljanino für die Milcherzeugung und Fleischproduktion betreuen. Fünf neue Ställe mit modernster Melktechnik für das Hochleistungsvieh sind im Bau. Dabei ist der sibirische Großbetrieb nur einer von sechs Ekosem-Standorten in Russland. Rund 100 Millionen Euro hat die in Walldorf (Baden-Württemberg) beheimatete Holding des Unternehmens in den vergangenen fünf Jahren schon in die Expansion mit Landkauf und Technikausbau gesteckt. Im Sommer sammelte Ekosem über eine Anleihe, die aktuell mit mehr als sieben Prozent rentiert, hauptsächlich bei deutschen Anlegern noch einmal 50 Millionen Euro ein. Ziel: 200 000 Hektar Fläche und 50 000 Rinder.

Agraranleihen sehr gefragt
Nicht nur die Anleihe von Ekosem, auch die Zinspapiere des deutschen Großlandwirts KTG Agrar oder seiner Biogastochter KTG Energie waren dieses Jahr in kürzester Zeit platziert. Längst setzen nicht mehr nur institutionelle Investoren auf den weltweiten Agrarmarkt, auch Privatanleger entdecken den Wachstumssektor für sich. Gerade die binnen eines Jahres stark gestiegenen Preise für Agrarrohstoffe wie Mais oder Weizen — auch bedingt durch die Dürren in wichtigen Anbaugebieten wie den USA — machen Investitionen in Agrartechnik und -chemie attraktiv. Dahinter steckt eine einfache Formel: Knappheit bei den Agrarrohstoffen lässt deren Preise und auch die Margen der Landwirte steigen — und damit auch deren Investitionsbereitschaft. So sagt Ralf Oberbannscheidt, Fondsmanager des DWS Agribusiness: „Wir erwarten wieder Rekordgewinne bei den US-Farmern, sie dürften um gut zehn Prozent besser dastehen als im Vorjahr.“ Die Verluste durch die Trockenheit, etwa beim Mais, konnten sie leicht wegstecken, rund 85 Prozent der US-Ernte waren versichert. Auch wenn die jetzt schon angekündigten Rekordpflanzungen im nächsten Jahr für sinkende Rohstoffpreise sorgen dürften, sind die langfristigen Aussichten für die Unternehmen der Agrarbranche zunehmend positiv. „Um die für 2050 erwartete Weltbevölkerung von neun Milliarden Menschen ernähren zu können, muss die landwirtschaftliche Produktion um 70 Prozent gesteigert werden“, sagte Vietnams Agrarminister Cao Duc Phat Mitte September in Hanoi auf einer Konferenz der Welternährungsorganisation FAO über Nahrungsmittelsicherheit.

Milliarden für den Pflanzenschutz
Dass eine wachsende Weltbevölkerung mehr Nahrung und somit eine größere Menge an Agrarrohstoffen braucht, ist auch den Strategen in der Vorstandsetage des Leverkusener Bayer-Konzerns wohlbekannt. Vorstandschef Marijn Dekkers ist gerade dabei, den kleinsten der drei Konzernbereiche, die Saatgut- und Pflanzenschutzsparte Cropscience, mit Milliardeninvestitionen zu einer tragenden Säule neben dem Kunststoff- und Pharmageschäft aufzubauen. Im August hat Bayer Cropscience für 500 Millionen Euro durch den US-Pflanzenschutzmittelhersteller Agraquest verstärkt. Jüngst gab Cropscience-Chefin Sandra Peterson bekannt, dass der Konzern hier weitere sieben Milliarden Euro bis zum Jahr 2016 investieren will — fünf Milliarden davon fließen in die Forschung, mit zwei Milliarden sollen die Kapazitäten für die Saatgutproduktion ausgebaut werden. Die Geldschwemme für den Bayer-Zögling mit Sitz im 15 Kilometer nördlich von Leverkusen gelegenen Monheim hat durchaus Sinn: Während beispielsweise das Kunststoffgeschäft im laufenden Jahr stagnieren und die Pharmasparte moderate drei bis vier Prozent an Zuwachs bringen soll, erwartet Konzernchef Dekkers bei seinem kleinsten Spross Cropscience ein zweistelliges Umsatzplus. Der Gewinn soll sogar um 20 Prozent zulegen. Cropscience, das rund ein Viertel zum Umsatz des Konzerns beiträgt, aber mit 30 Prozent die höchste operative Marge bringt, beschleunigt auch den Gewinnzuwachs des Gesamtkonzerns. Trotz des konjunkturell belasteten Kunststoffgeschäfts erhöhte Bayer im Sommer seine Jahresprognose. Mit den Milliarden will Dekkers das Agrochemie- und Saatgutgeschäft, gemeinsam derzeit rund fünf Milliarden Euro schwer, zu einer globalen Größe formen. Beim Pflanzenschutz sind die Rheinländer bereits Weltspitze. Die Investitionen in die Forschung sollen auch künftig für Neuentwicklungen wie das Getreidefungizid Luna sorgen, das Obst und Gemüse gegen Pilzkrankheiten schützt und zugleich die Lagerfähigkeit deutlich erhöht.

Dekkers zielt dabei auch auf wachstumsstarke Nischen — mit der Neuerwerbung Agraquest etwa auf den Markt für biologische Pflanzenschutzmittel. Hier werden Viren, Insekten oder Pilze gegen Pflanzenschädlinge eingesetzt, was etwa den Einsatz im biologischen Landbau erlaubt. Der weltweite Markt für die grünen Produkte wird derzeit auf ein Volumen von 1,4 Milliarden Dollar geschätzt. Er soll bis 2020 auf rund vier Milliarden Dollar anwachsen. Marktführer Syngenta beäugt den Rivalen aufmerksam — und kauft gleichfalls zu. Vom US-Chemiekonzern Dupont übernahmen die Schweizer Ende August einen Teil des Agrochemiegeschäfts, anschließend war die US-Biotechfirma Pasteuria Bioscience fällig, die auf die Bekämpfung von Pflanzenschädlingen durch Bakterien spezialisiert ist. Schließlich schlug Syngenta vor wenigen Tagen für gut 400 Millionen Euro beim belgischen Agrobiotechspezialisten Devgen zu. Die Belgier bieten — wie Pasteuria — biologische Pflanzenschutzmittel an.

Harter Wettbewerb bei Saatgut
Im Zukunftsmarkt Saatgut liefern sich die Kontrahenten ebenfalls einen harten Kampf. Bayer hat den Bereich als strategisches Feld definiert. Der Anteil am Konzernumsatz soll sich laut Cropscience-Chefin Sandra Peterson bis 2016 auf rund 20 Prozent verdoppeln. Noch ist Bayer ein kleiner Spieler auf dem Weltmarkt. Syngenta hingegen zählt hinter den US-Konzernen Monsanto und Dupont zur weltweiten Spitze. Neuzugang Devgen verstärkt die Schweizer dabei im wachsenden Markt für sogenannte hybride Reissorten. Der Reis wird durch Züchtung widerstandsfähiger gegen Schädlinge und Krankheiten, der Ertrag liegt deutlich über dem herkömmlicher Sorten. Konzernchef Mike Mack setzt auf den langfristigen Wachstumstrend in der Agrochemie und in der Saatgutproduktion — und hat soeben wegen der guten Wachstumsperspektiven die Langzeitprognose erhöht. Bis 2020 peilt Syngenta nun 25 Milliarden Dollar Umsatz an, zuvor lag die Marke bei 22 Milliarden. Marktführer Monsanto konzentriert sich auf gentechnisch verändertes Saatgut, etwa Mais oder Soja. Chef Hugh Grant hat soeben für das Quartal zum Ende August Verluste vorgelegt — was regelmäßig der Fall ist, weil die Landwirte im Hauptmarkt USA zu dieser Zeit ernten und nicht säen. Für das Anfang September angelaufene neue Geschäftsjahr hingegen erwartet Grant wieder Gewinnzuwächse um die 15 Prozent.

In den USA rechnen Experten mit weiter steigenden Getreidepreisen, da aufgrund der Dürre des vergangenen Sommers das Angebot knapp bleiben soll. Der eigentliche Treiber für das Konzernwachstum dürften im laufenden Geschäftsjahr abermals die großen Agrarmärkte Lateinamerikas sein. Vor allem in Brasilien und Argentinien ist Monsanto mit seinen genveränderten Maissorten erfolgreich. Während die Sparten Agrarchemie und Saatgut stark wachsen, sind die Perspektiven der großen Kalidüngerproduzenten K + S oder Potash eher durchwachsen. Zuletzt konnten US-Farmer wegen der trockenen Böden kaum Kalidünger ausbringen. Erst im kommenden Frühjahr rechnen Experten mit einer Belebung der Nachfrage in den USA. Auch in anderen großen Märkten wie China oder Indien ist die Nachfrage verhalten, die Preise stagnieren. Über rege Nachfrage hingegen freuen sich die Hersteller von Landmaschinen. Platzhirsch Deere & Co hat im ersten Halbjahr den Umsatz bereits um zwölf Prozent gesteigert, der US-Konzern Agco, weltweit die Nummer 3 der Branche, geht für dieses Jahr von einem Umsatzplus von 20 Prozent aus. Für die nächsten Jahre rechnen die Landtechniker mit einem Nachfrageanstieg vor allem aus den Schwellenländern — und mit dem jüngst erfolgten WTO-Beitritt des Landes besonders auch aus Russland.

Mehr Ertrag durch Technik
Ähnlich wie die USA war auch Sibirien diesen Sommer von einer Dürre betroffen. Deshalb fiel die Getreideernte bei Ekosem in dieser Region nicht so hoch aus wie erhofft. Im Gegensatz zu den Nachbarbetrieben hat Stefan Dürr durch den Einsatz von modernen Maschinen, neuestem Saatgut und Dünger aber mehr als genug Futter für den Winter einfahren können. „Eigentlich müssten unsere Nachbarn jetzt viele Milchkühe schlachten. Aber wir kaufen ihnen die Tiere zu einem besseren Preis ab und können so unseren Bestand günstig erweitern“, erklärt der Großbauer. Wie kräftig Ekosem wächst, zeigte sich bei den vergangene Woche vorgestellten Halbjahreszahlen: Bis Juni wurden 41,4 Millionen Liter Milch produziert, in den zwölf Monaten zuvor waren es insgesamt 50 Millionen Liter. Absatzprobleme gibt es dabei keine, denn Russland ist einer der größten Milchimporteure weltweit. Vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen lag das Ergebnis bei 16,8 Millionen Euro. Gegen steigende Saatgutpreise hat sich der schlaue Bauer Dürr abgesichert: Zu Ekosem gehört mit Ekoniva einer der größten Saatguterzeuger in Russland. Und auch bei der Technik ist Dürr vorn dabei: Privat hält er die Mehrheit am größten John-Deere-Händler Russlands.