Die Frage, was EZB-Präsident Mario Draghi macht, wurde bereits am 3. Dezember beantwortet. Er öffnete erneut den Geldsack, allerdings nicht so weit, wie es der Markt, der übermäßig in eine Richtung positioniert war, erwartet hatte. Beschlossen wurde lediglich eine Senkung des Einlagenzinses auf mittlerweile -0,30 Prozent und eine Erweiterung des Anleihekaufprogramms um ein halbes Jahr bis März 2017. Dass die Marktreaktionen trotz einer eigentlich spendablen Europäischen Zentralbank derart heftig waren, zeigt auf, wie abhängig die Marktteilnehmer mittlerweile von den Geschenken der Zentralbanken sind: europäische Aktien minus drei Prozent, europäische Anleihen plus 20 Rendite-Basispunkte und USDEUR-Wechselkurs plus vier Prozent.* Was die zweite Frage betrifft, so scheint diese jedenfalls für den Markt schon beantwortet. Die von Derivaten implizierte Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung beim kommenden FOMC-Treffen am 15. bis 16. Dezember lag zu Ende November nämlich bei knapp 75 Prozent*.

Man muss schon lange in den Geschichtsbüchern stöbern, um eine vergleichbare gegenläufige Politik zweier bedeutender Notenbanken zu finden. Zuletzt gab es diese Situation im Jahre 1994, als die Fed die Zinsen anhob, während die Bundesbank die Leitzinsen weiter senkte. Wir erwarten oder vielmehr hoffen allerdings nicht, dass sich abgesehen von diesen Parallelen noch weitere Ähnlichkeiten zu 1994 ergeben. Damals stiegen die Renditen der 10-jährigen US-Treasuries und der 10-jährigen Bundesanleihen um fast 2,5 Prozent*, während der S&P und der Dax sich seitwärts bewegten. Das ist kein Szenario, in dem man sich unbedingt wohlfühlt. Abgesehen von einigen Markt-Dinosauriern erinnern sich womöglich auch nur wenige an den Kapitalmarkt von 1994.

Die Erfahrungen aus besagtem Jahr machen einen skeptisch oder zumindest vorsichtig, was die weitere Entwicklung an den Kapitalmärkten nach einer möglichen Zinsanhebung durch die US-Notenbank angeht. Es sprechen allerdings sehr viele Dinge für einen bestenfalls verhaltenen Renditeanstieg. Erstens würde es sich bei dieser Zinsanhebung wohl um den meist angekündigten Zinsschritt in der Geschichte der Menschheit handeln, wohingegen jener von 1994 sehr überraschend stattfand. Zweitens erwartet der Markt, nicht zuletzt aufgrund der Kommunikation der Fed, dass sie sehr behutsam agieren wird und nur ganz langsam die Geldmarktzinsen in Richtung Normalität bewegt. Auch hier war der Zyklus 1994 gänzlich anders strukturiert. Innerhalb von zwölf Monaten wurde der Leitzins in sieben Schritten von drei Prozent auf sechs Prozent angehoben: drei Schritte von jeweils 25 Basispunkten (bp), zwei Schritte von jeweils 50 bp, einer von 75 bp und ein weiterer von 50 bp. Darüber hinaus erfolgte der erste Zinsschritt 1994 bereits drei Jahre nach Ende der vom Sommer 1990 bis Frühjahr 1991 andauernden Rezession. Heute hingegen befinden wir uns schon 6,5 Jahre nach Ende der Großen Rezession, wie die Weltwirtschaftskrise, die auf die Pleite von Lehman Brothers folgte, in den Geschichtsbüchern genannt wird. Der Wirtschaftszyklus ist also aktuell schon sehr viel weiter fortgeschritten, sodass eine ähnliche, deutliche Zinserhöhung durch die Fed unwahrscheinlich ist.

Es würde natürlich überraschen, wenn Fed-Präsidentin Janet Yellen, wie schon im September, die Geduld aller Beteiligten wieder einmal auf die Probe stellt, und die Zinsen nicht anhebt. In diesem Fall wäre die Enttäuschung am Markt zweifellos spürbar, Aktien würden eher fallen und die Anleihemärkte würden ziel- und richtungslos enden. Wir gehen allerdings so wie die Mehrheit des Marktes davon aus, dass die Zinsen im Dezember angehoben werden. Wichtiger noch als der Zinsschritt als solcher ist aber die darauffolgende Kommunikation der US-Notenbank. Wir erwarten jedenfalls eine Fortsetzung des sehr vorsichtigen Vorgehens und sind gespannt, ob in diesem Dezember Geschichte geschrieben wird.

* Alle Quellen: Bloomberg

Autoren: Guido Barthels, Portfolio Manager der Ethna Funds und Yves Longchamp, Head of Research bei ETHENEA Independent Investors (Schweiz) AG

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