„Sell in May and go away but remember to come back in September“, so lautet die vollständige Börsenweisheit, die bereits vor über hundert Jahren unter Anlegern kursierte. Dieses geflügelte Wort suggeriert, dass es von Vorteil ist, Aktien im Mai zu verkaufen und erst fünf Monate später wieder einzusteigen. Der Hintergrund: Viele Börsen in Westeuropa und in den USA entstanden mit dem Aufkommen der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. In den Sommermonaten war dort weniger los. Generell gilt diese Periode eher als nachrichtenarme Zeit, in der Dividendenprognosen ausbleiben und Anlegern die nötige Euphorie fehlt. Aber sind die Wintermonate von Oktober bis April ertragsreicher? Dazu gab es schon so einige Studien, welche meist kurzfristigere Zeiträume untersucht hatten. Das in Bad Homburg ansässige Family Office HQ Trust hat nun dazu eine Langzeitbetrachtung unternommen.


Börsenregel trifft nur bedingt zu


Das Fondsmanagement des HQT Global Quality Dividend / ISIN: LU1499563440)  hat bis ins 19. Jahrhundert zurückgeschaut. So ist auf Basis der Daten des S&P 500 Performanceindex seit dem Jahr 1872 analysiert worden, welche Monate Anleger Rendite und welche ihnen eher Risiko beschert hätten. Die Kapitalmarktexperten wollten herausfinden, ob die Börsenweisheit sinnvoll war oder ob es bessere Monate für eine Anlagepause gegeben hat. „Grundsätzlich trifft die Börsenregel zu. Blickt man auf die vergangenen 150 Jahre, haben die Monate September und Mai zum Anlageerfolg keine Rendite, sondern nur ein erhöhtes Risiko beigetragen“, heißt es in der Mitteilung. So habe die Performance immerhin bei 6,3 Prozent p.a. gelegen, wenn Anleger im Zeitraum von Mai bis September nicht investiert gewesen wären. Nimmt man den Fünf-Monats-Zeitraum als Maßstab, komme der Zeitraum von Mai bis September immerhin auf Rang zwei. Noch besser wäre es nach den Berechnungen von HQ Trust gewesen, die fünf Monate von Februar bis Juni auszulassen. Dann hätte die Rendite 6,5 Prozent p.a. betragen.


Ruhe bewahren und investiert bleiben


Die Börsenregel hat noch eine extended Version. Diese endet auf ‚but remember to come back in September or better November‘. Die Analysten fanden heraus, dass Anleger, die darauf gesetzt hätten, schlechter gefahren wären – auch wenn dies der beste Zeitraum mit sieben Monate Anlagepause gewesen sei. Die Performance hätte demnach lediglich bei 4,6 Prozent p.a. gelegen. „Am besten wäre es allerdings gewesen, gar nicht zu verkaufen. Über den gesamten Zeitraum seit dem Jahr 1872 lag die Wertentwicklung bei 9,2 Prozent“, heißt es bei HQ Trust. Diese Ergebnisse decken sich auch mit der Meinung des Branchenverbandes BVI: „Wer ein kleines Vermögen aufbauen möchte oder für die Altersvorsorge spart, sollte vielmehr eine langfristige Strategie etwa über einen Fondssparplan festlegen und diese dann konsequent verfolgen. Dann profitiert man auch vom Zinseszinseffekt.“ Es empfehle sich nicht, Anlageentscheidung nach der Jahreszeit auszurichten. Generell! Aber ist die Ausgangslage in diesem Jahr eine andere? Ja – das meint zumindest Jay Woods, Chef-Stratege beim New Yorker Vermögensberater DriveWealth Institutional, kürzlich in einem Interview mit finance yahoo. Investoren sollten aus seiner Sicht im Mai 2021 tatsächlich darüber nachdenken, zumindest einen Anteil der Aktien zu verkaufen. „Hinsichtlich einer heißgelaufenen Rallye mit hohen Indexständen sind die Leute bereit zu gehen und Gewinne zu realisieren“, so Woods. Die Bewertungen seien vergleichsweise teuer, selbst die Öffnungsschritte und ein weiterer Turnaround könnten kaum weiteres Potenzial bedeuten.