Die Eurokrise liegt wie ein dunkler Schatten über der Weltwirtschaft. In den Bilanzen vieler deutscher Topkonzerne ist aber wenig davon zu sehen. In den ersten neun Monaten des Jahres haben die Mitglieder des Deutschen Aktienindex nach Berechnung dieser Zeitung ihren Nettogewinn zum Vorjahr um zehn Prozent gesteigert. Fast zwei Drittel der Indexmitglieder liegen über dem Vergleichswert aus 2011. An diesem Erfolg werden auch die Aktionäre teilhaben: 18 der 30 Indexmitglieder dürften für das laufende Geschäftsjahr ihre Dividende erhöhen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Projektion von €uro am Sonntag. Insgesamt dürfen Anleger mit 28 Milliarden Euro rechnen. Damit wackelt der bisherige Dividendenrekord des DAX, der nach Berechnungen der Commerzbank bei 28,1 Milliarden Euro aus dem Jahr 2007 liegt. Dividendenkürzungen dürfte es für das laufenden Geschäftsjahr nicht geben. Auch wenn ein Abschlag bei einigen Indexmitgliedern durchaus vertretbar wäre. Die größten Beträge im DAX kommen auch dieses Mal von den Schwergewichten des Index. Die Deutsche Telekom wird mit etwas mehr als drei Milliarden Euro erneut Spitzenzahler im Index. Fünf weitere Unternehmen werden mehr als zwei Milliarden Euro an ihre Aktionäre zahlen. Ausgerechnet unter den Schwergewichten sind aber etliche Problemfälle. Die Deutsche Telekom hat ihren Aktionären für das laufende Jahr 70 Cent je Aktie in Aussicht gestellt. Das entspricht einer auf dem Papier attraktiven Dividendenrendite von mehr als acht Prozent. Doch die Zahltage des rosa Riesen dürften künftig bescheidener ausfallen. Ein Blick auf die Telekommunikationsbranche lässt die Alarmglocken läuten: Etliche Rivalen haben die Dividende gekürzt, die spanische Telefónica hat sie fürs laufende Jahr sogar komplett gestrichen. Analysten erwarten deshalb auch bei der Deutschen Telekom Einschnitte. Für das Geschäftsjahr 2013 liegt der Konsens, also der Durchschnitt aller Schätzungen, nur noch bei 60 Cent je Aktie. Pessimisten rechnen sogar lediglich mit 45 Cent. In diesem Fall würde die Dividendenrendite auf weniger als 5,5 Prozent schrumpfen. Eine konkrete Aussage der Deutschen Telekom wird auf einem Analystentreffen Anfang Dezember erwartet.

Dividenden wackeln
In einer ähnlich schwierigen Lage befindet sich Eon. Der Versorger hat seine Aktionäre bereits auf trübere Tage eingestimmt. Der größte deutsche Energiekonzern kämpft mit den Folgen des staatlich verordneten Atomausstiegs und sinkenden Margen im Stromgeschäft. Für das laufende Jahr will Eon die Dividende leicht auf 1,10 Euro je Aktie anheben. Aber das Ziel, die Ausschüttung im kommenden Jahr konstant zu halten, wackelt kräftig. „Vor dem Hintergrund der erheblichen wirtschaftlichen Unsicherheiten und strukturellen Änderungen des Sektorumfelds erscheint der bisherige Ausblick für das Jahr 2013 nicht erreichbar“, warnt Eon. Erste Schätzungen von Analysten sehen die Dividende für das Jahr 2013 bei 80 bis 90 Cent. Die Rendite würde damit von knapp acht auf weniger als sechs Prozent fallen.

Heimliche Helden
Die Erfolgsgeschichten beim Thema Dividende werden meist von kleineren Unternehmen geschrieben. Zum Beispiel von Adidas. Analysten rechnen beim Sportartikelkonzern für das laufende Geschäftsjahr mit einer Erhöhung der Dividende um 20 Prozent auf 1,20 Euro. Die Redaktion traut dem Konzern mit den drei Streifen noch etwas mehr zu. Da die Verschuldung deutlich reduziert worden ist und große Zukäufe derzeit kein Thema sind, besteht Spielraum, die Ausschüttungsquote von zuletzt 30 Prozent anzuheben. 1,25 Euro je Aktie wären also realistisch. Damit hätte Adidas die Dividende innerhalb von zehn Jahren verfünffacht. Auch bei SAP liegt die Redaktion mit ihrer Schätzung über der Konsensmeinung der Investmenthäuser. Nach 75 Cent im Vorjahr sollten dieses Mal 90 Cent drin sein. Damit hätte sich die Ausschüttung innerhalb von zehn Jahren versechsfacht. Eine Sonderdividende wie 2011 dürfte es dieses Mal aber nicht geben. Der stärkste Zuwachs in diesem Jahr wird bei HeidelbergCement erwartet. Der Baustoffkonzern liegt deutlich unter seiner angepeilten Ausschüttungsquote, muss aber Altlasten abarbeiten. Die Rückführung der Verschuldung habe Vorrang, heißt es. Da sich die Geschäftslage dieses Jahr verbessert hat, kalkulieren Analysten dennoch mit einer Dividendenanhebung um 15 auf 50 Cent je Aktie. Das entspräche einem Zuwachs von mehr als 40 Prozent. In einer ähnlichen Größenordnung sollte die Zuteilung beim Automobilzulieferer Continental zulegen. Bei beiden Unternehmen stimmt die Prognose der Redaktion mit der Analystenschätzung überein. Eine eindrucksvolle Serie wird Fresenius verteidigen. Schon jetzt ist es absehbar, dass der Gesundheitskonzern zum 20. Mal in Serie seine Ausschüttung erhöht. Die Tochtergesellschaft FMC dürfte die Dividende zum 16. Mal anheben. Beide Unternehmen profitieren davon, dass ihre Geschäftsfelder nur wenig von Konjunkturschwankungen abhängen.

Langer Atem lohnt sich
Nicht alle haben es so einfach. Die Eurokrise hat die wichtigsten Absatzmärkte der DAX-Konzerne, also Deutschland, China und die USA, bislang nicht mit voller Wucht getroffen. Das könnte sich im kommenden Jahr ändern und schon jetzt die Beschlüsse zur Dividende beeinflussen. Schließlich werden sich die Unternehmen sehr genau überlegen, ob sie angesichts der makroökonomischen Risiken unnötig Geld aus der Hand geben. Die Überlegung dürfte vor allem in den zyklischen Branchen eine Rolle spielen, also etwa bei BASF, BMW und Volkswagen. Unter besonderer Beobachtung stehen die Banken. Sie galten vor nicht langer Zeit als Dividendenstars, üben sich aber nach der Eskalation der Finanzkrise in Bescheidenheit. Die Commerzbank, die noch immer vom Staat gestützt werden muss, wird erneut auf eine Dividende verzichten — zum fünften Mal in Serie. Die Deutsche Bank ist in einer deutlich besseren Position, muss aber ebenfalls ihre Kapitalbasis stärken, um verschärften Vorschriften gerecht zu werden. Eine hohe Dividende würde zudem den politischen Druck unnötig erhöhen. Wir erwarten bei der Deutschen Bank deshalb eine Ausschüttung auf Vorjahresniveau.

Die Dividende hat auch bei Anlegern in Deutschland deutlich an Bedeutung gewonnen. Langfristig betrachtet, macht sie rund 40 Prozent der Rendite von Aktieninvestments aus. Um die Dividende für Investoren berechenbar zu machen, haben viele DAX-Konzerne feste Richtgrößen ausgegeben, etwa einen bestimmten Prozentsatz des Jahresgewinns (siehe Tabelle). Wichtig aus Sicht der Anleger ist, dass Unternehmen auch Krisenzeiten ohne Dividendenkürzung überstehen. Das führt dazu, dass Ausschüttungsquoten vorübergehend über die Richtgrößen hinaus angehoben werden. Das soll Anleger bei der Stange halten, geht aber an die Substanz. Munich Re beispielsweise rühmt sich, seit 1969 die Dividende zumindest konstant gehalten zu haben. Um die Serie zu halten, ging der Rückversicherungskonzern im vergangenen Jahr, als eine Serie an Naturkatastrophen die Bilanz verhagelte, an die Schmerzgrenze und schüttete mehr Geld aus, als netto verdient worden war. In diesem Jahr hat sich das operative Ergebnis normalisiert. Das macht eine Dividendenerhöhung realistisch. Schwere Entscheidungen stehen dieses Mal bei anderen an: Daimler hat bereits angedeutet, dass die Dividende trotz eines rückläufigen Jahresgewinns auf dem Vorjahresniveau bleiben wird. Ähnlich ist die Situation bei der Deutsche Börse. Brisant ist die Lage bei ThyssenKrupp. Der Stahlkonzern hat bereits im vergangenen Jahr trotz eines Nettoverlusts eine Dividende gezahlt. Fundamental ist die Situation weiter angespannt. Eine Nullrunde für Aktionäre wäre also gerechtfertigt. Bei der Festsetzung der Dividende spielt bei ThyssenKrupp aber noch eine andere Überlegung eine Rolle: die Aktionärsstruktur. Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung hält 25 Prozent der Aktien des Konzerns und ist damit größter Profiteur der Ausschüttung. „Die Stiftung bevorzugt Dividendenkontinuität, um ihre vielfältigen sozialen und kulturellen Verpflichtungen zu erfüllen“, sagte ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger im Mai gegenüber €uro am Sonntag. Wir erwarten daher eine Dividende auf Vorjahresniveau.

Erfolgsformel für Anleger
Anleger sollten bei der Suche nach Dividendenaktien nicht nur auf die absolute Höhe der Dividendenrendite schauen. Die Deutsche Telekom und Eon zeigen, dass ein auf dem Papier hoher Wert in die Irre führen kann. Unternehmen mit hoher Dividendenrendite entschädigen mit ihren Ausschüttungen oft für fehlende Wachstumsperspektiven im operativen Geschäft. In vielen Fällen können sie das Niveau nicht dauerhaft halten. Attraktiver sind Unternehmen, die ihre Dividende stetig steigern und diesen Trend durch wachsende Gewinne im operativen Geschäft stützen. Das sind meist Unternehmen, deren Rendite auf den ersten Blick unspektakulär erscheint. Die wahre Dynamik entwickelt sich in diesen Fällen langfristig. Wer etwa die Adidas-Aktie vor fünf Jahren kaufte, kam damals auf eine Dividendenrendite von einem Prozent — ein eigentlich belangloses Niveau. Wer die Aktie aber bis heute im Depot hält, kommt dank Dividendensteigerungen bereits auf eine Rendite von 2,6 Prozent. Und der Trend dürfte sich fortsetzen: Sollte die Ausschüttung bei Adidas, wie von Analysten kalkuliert, bis zum Jahr 2014 auf 1,80 Euro je Aktie steigen, würde das die Rendite aus Sicht des langjährigen Investors auf knapp vier Prozent heben. Als Dividendenwert bereits etabliert hat sich BASF. Der Chemiekonzern hat es sich zum Ziel gesetzt, die Ausschüttung regelmäßig zu steigern oder zumindest auf Vorjahresniveau zu halten. Um das auch in wirtschaftlich schweren Zeiten zu ermöglichen, stärken die Ludwigshafener defensive Geschäftsbereiche. Auf Basis unserer Dividendenschätzung von 2,60 Euro für das laufende Geschäftsjahr liegt die Rendite der BASF-Aktie bei 4,1 Prozent. Das wird nicht das letzte Wort sein: Analysten erwarten, dass die Ausschüttung bis zum Jahr 2014 auf 2,90 Euro steigt. Die Dividendenrendite würde damit aus heutiger Sicht auf 4,6 Prozent zulegen. Geduld lohnt sich also für Dividendenjäger — gerade in einer Zeit, in der die wenigen noch verlässlichen Staatsanleihen Renditen unterhalb des Inflationsniveaus abwerfen.