Rüdiger Mrotzek kann bequem einen Gang zurückschalten. Nach der Krise der Jahre 2008/09 hat der Finanzchef der Gewerbeimmobilienfirma Hamborner Reit früher als die Kollegen der Konkurrenz auf Wachstum geschaltet. Ergebnis der Einkaufstour: Das Immobilienportfolio ist heute mit über 500 Millionen Euro doppelt so viel wert wie vor zwei Jahren. Allein dadurch, dass die 2011 erworbenen Objekte im laufenden Jahr ganzjährig zum Ergebnis beitragen, werde der Gelsenkirchener Gewerbeimmobilienspezialist im Vergleich zum Vorjahr „Steigerungen bei den Mieten und des operativen Ergebnisses haben“, sagte Mrotzek kürzlich in einem Interview. Auch für künftige Transaktionen hat sich das Hamborner-Management ausreichend Spielraum verschafft. Mit einer Eigenkapitalquote von 55 Prozent könnte die SDAX-Firma ihr Immobilienportfolio ohne Kapitalerhöhung auf 600 Millionen Euro erweitern. Erst dann wäre die selbst gesetzte Mindestgrenze von 50 Prozent Eigenkapital erreicht.

Gesetzlich vorgeschrieben sind bei der Unternehmensform Real Estate Investment Trust (Reit) mindestens 45 Prozent Eigenkapital. Diese Sonderform von Immobiliengesellschaften ist auf langfristig orientierte, risikoscheue Anleger zugeschnitten. Der Kauf der Immobilien ist steuerfrei. Im Gegenzug müssen die Gesellschaften 90 Prozent des Gewinns an die Aktionäre ausschütten. Damit soll sichergestellt werden, dass die Dividendenrendite eines Reits höher ist als bei konventionellen Immobilienkonzernen. Was als Modell für Anteilseigner attraktiv klingt und sich in Großbritannien oder in den USA längst etabliert hat, fristet hierzulande immer noch ein Nischendasein — und bleibt ein Markt für Geduldige wie Mrotzek: „Wir sind vielleicht unspektakulär, aber wir ändern nicht alle drei Monate unsere Strategie“, sagt der ehemalige Controlling-Chef der einstigen Eon-Immobilientochter Viterra. Mrotzeks Ziel ist es, die Dividende pro Aktie „mindestens konstant zu halten“. Die europäischen Immobilienaktien sind trotz der neuen Vorliebe der Investoren für Papiere aus zyklischen Branchen gut ins Jahr gestartet. Seit Mitte Januar ist der Immo-Subindex des Stoxx Europe 600 in der Spitze um mehr als zehn Prozent auf über 110 Punkte geklettert und hat damit auch einige charttechnische Widerstandszonen überwunden. Angelsächsische Investoren wie Threadneedle, BlackRock oder Cohen & Steers haben ihr Engagement bei Konzernen wie Deutsche Wohnen, GSW, TAG und Deutsche Euroshop zuletzt erhöht. Grund: Die Papiere von deutschen Firmen werden mit einem Abschlag von durchschnittlich 35 Prozent auf den Wert ihrer Immobilien (Net Asset Value, kurz NAV) gehandelt. Zu den wenigen Ausnahmen zählen der Mietshausbesitzer Deutsche Wohnen und der Shoppingcenter-Betreiber Deutsche Euroshop, deren Börsenkapitalisierung nahe am Wert ihrer Immoportfolios liegt. Zudem spricht für deutsche Immobilientitel, dass viele Unternehmen in ihren Bilanzen die Refinanzierungsrisiken stark abgebaut haben. Die Restlaufzeit der Kredite liegt nach Berechnungen der Berenberg Bank inzwischen bei 5,6 Jahren. IVG etwa, trotz des Nummer-1-Status bei Gewerbeimmobilien lange als Sorgenkind der Branche gehandelt, hat Ende 2011 mit einer Kapitalerhöhung über 146 Millionen Euro eine drohende Verletzung von Kreditvereinbarungen in letzter Minute vermieden. Zudem wurden Kredite im Wert von 2,6 Milliarden Euro verlängert. „Kurzfristig muss nichts mehr refinanziert werden. IVG ist jetzt wesentlich stabiler“, lobt Berenberg-Analyst Kai Klose. Zudem läuft auch das Tagesgeschäft der Bonner gut.

Das dürfte auch am wieder erwachten Interesse ausländischer Investoren an Direktinvestitionen in deutsche Immobilien liegen. „Bei direkten Investments sehen wir häufig institutionelle Anleger aus Skandinavien und aus den Niederlanden, aber auch aus Deutschland wie die Allianz“, erklärt Berenberg-Mann Klose. Ein Grund für den Kapitalzufluss: Die im Vergleich zur Verzinsung von Staatsanleihen hohen Renditen für deutsche Büroimmobilien in guten Lagen. Mit 3,23 Prozentpunkten liegt der Aufschlag auf Rekordniveau. Nur in der Schweiz (3,64 Prozentpunkte) und in den Niederlanden (3,31) liegen die Renditen noch etwas höher. Die im europäischen Vergleich guten Konjunkturaussichten für Deutschland halten auch das Interesse potenzieller Mieter an Gewerbeflächen stabil. Die auf die Entwicklung prestigeträchtiger Objekte spezialisierte Firma DIC Asset hat im neu entstehenden Frankfurter Bürokomplex MainTor Porta bereits 70 Prozent der Fläche vermietet. Und das, obwohl der Hauptmieter Union Asset Management, die Fondsgesellschaft der Genossenschaftsbanken, erst 2014 einziehen kann. Bis dahin soll das Areal im Bankenviertel komplett umgestaltet werden.

Aufschwung am Wohnungsmarkt
Auch Wohnimmobilien sind wegen der geringen Arbeitslosigkeit und der niedrigen Zinsen wieder gefragt. 2011 legten die Preise nach Angaben der Bundesbank um 5,5 Prozent zu, doppelt so stark zu wie 2010. Erstmals seit dem Wiedervereinigungsboom sei ein konjunktureller Aufschwung mit einer „markanten Preisreaktion auf den Häusermärkten“ verbunden, schreibt die Bundesbank in ihrem Monatsbericht. Vor wenigen Wochen etwa feierte der Augsburger Immobilienkonzern Patrizia den Zuschlag für den 1,4-Milliarden-Euro-Kauf von 21 000 Wohnungen aus den Beständen der Landesbank Baden-Württemberg, die das Portfolio auf Druck der EU verkaufen musste. Den Milliardendeal stemmten die Schwaben mit nur 15 Millionen Euro Eigenkapital und ohne Kapitalerhöhung, indem sie elf Investoren ins Boot holten, darunter in- und ausländische Versicherer und Pensionskassen. Allerdings profitieren nicht alle Unternehmen in gleichem Maß: Der größte Wohnungskonzern, Gagfah, zum Beispiel hat mit hausgemachten Problemen zu kämpfen: Ein Rechtsstreit mit der Stadt Dresden wegen eines zu Boomzeiten erworbenen Immobilienportfolios sorgt bei Börsianern für erhebliche Unsicherheit. Knifflig wird es auch für Immofirmen, die Aktionäre für bevorstehende Deals kurzfristig um frisches Kapital bitten müssen. Angesichts der hohen Abschläge der Börsenwerte auf den inneren Wert der Immobilienportfolios brauchen sie sehr gute Argumente, damit sich die Schatullen der Investoren öffnen. „Um die Gewinnverwässerung auszugleichen, müssen Portfolios mit höheren Renditen gekauft werden“, sagt Berenberg-Experte Klose. Und: Wer frisches Geld will, muss beim Preis für neue Aktien zusätzliche Abschläge in Kauf nehmen. Bei der jüngsten Kapitalerhöhung von Alstria Office etwa wurden sieben Millionen neue Papiere mit dem maximal zulässigen Abschlag von fünf Prozent Rabatt auf den Kurs vom Vortag platziert. Für kurzfristig orientierte Zeichner ein schlechtes Geschäft: Die Papiere gingen mit mehr als sieben Prozent Minus aus dem Handel. Langfristig ist die Kapitalerhöhung trotzdem sinnvoll. Mit dem frischen Geld erwarb Alstria Büros in Düsseldorf, Frankfurt und Hamburg für 95 Millionen Euro, deren Rendite höher liegt als die der bisherigen Objekte im Portfolio.