Atomkraft als Übergangslösung


Silvester 2021 legte die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine Ergänzung der EU-Taxonomie vor. „Die EU-Taxonomie listet Arten der Energieerzeugung auf, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen, sich in Richtung Klimaneutralität zu bewegen“, erklärt die EU-Kommission auf ihrer Homepage. Der neueste Vorschlag sieht vor, dass Investitionen in Atomkraft und Erdgas „unter klaren und strengen Bedingungen“ mit der Taxonomie vereinbar seien oder kurz gesagt: als nachhaltig eingestuft werden. Die Bedingungen seien erfüllt, wenn die Kraftwerke den neuesten Standards entsprächen und eine Lösung für die Endlagerung des Atommülls bis 2050 vorgelegt würde, so berichtet n-tv. Die Änderung soll es den Mitgliedsstaaten erleichtern, die Klimaneutralität innerhalb von 30 Jahren zu erreichen. Ob der Vorschlag angenommen wird, hängt von mehreren Faktoren ab. Als Erstes wird eine Konsultation von Sachverständigen der Mitgliedsstaaten durchgeführt. Der Plan ist, dass die Kommission den Vorschlag noch im Januar 2022 nach der Konsultation annimmt. Anschließend haben der Europäische Rat und das Europäische Parlament vier Monate Zeit, um den Sachverhalt zu prüfen und eventuell Einwände zu erheben. Diese Frist kann von beiden Stellen um zwei Monate verlängert werden. Um Einwände erheben zu können, braucht der Rat mindestens 20 Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung entsprechen. Im Parlament müssen es mindestens 353 Mitglieder sein. Werden keine Einwände erhoben, tritt die Änderung in Kraft. Allgemein wird angenommen, dass die Mehrheiten nicht erreicht werden und die Taxonomie umgesetzt wird.


Andere Länder, andere Einstellung


Bei den EU-Mitgliedsstaaten scheiden sich an der Atomkraft die Geister. Frankreich ist der Vorreiter, wenn es um das Festhalten an Atomenergie geht. Das größte Land der Europäischen Union bezieht 70 Prozent seines Energiebedarfs aus Atomkraftwerken. An 18 Standorten befinden sich 56 Reaktoren. Zuletzt wurden 17 Reaktoren aufgrund von Wartungsarbeiten abgeschaltet, was ein Problem in der Stromversorgung verursacht. Die Kernkraftwerke wurden Mitte der Siebzigerjahre nach dem großen Ölpreisschock gebaut. Die Reaktoren sind heute also fast 40 Jahre alt. Sie benötigen Ausbesserungen, und neue Atomkraftwerke müssten gebaut werden. Der Neubau des Druckwasserreaktors in Flamanville gerät unterdessen ins Stocken. Am 12. Januar ließ der französische Energieversorger Électricité de France verlautbaren, dass die Kosten um weitere 300 Millionen Euro steigen und sich die Inbetriebnahme auf 2024 verschieben wird. Damit haben sich die Kosten von den ursprünglich geplanten 3,3 Milliarden Euro auf über 19 Milliarden Euro fast versechsfacht und die Inbetriebnahme um elf Jahre verspätet. Frankreichs Interesse, Investoren zu gewinnen, ist hoch. Aus den östlichen EU-Staaten, , deren Stromversorgung ebenfalls von Nuklearenergie abhängt, erhält Frankreich indes Rückenwind.


Auch in Finnland sieht man die Pläne mit Wohlwollen, wie der Stern berichtet. Bis 2035 will das skandinavische Land klimaneutral werden und dafür die emissionsarme Kernkraft nutzen. Selbst die finnische Fridays-for-Future-Bewegung spricht sich für Atomkraft als Übergangslösung aus: „[…] aus unserer Sicht sind es die Kohlendioxidemissionen, die eine größere Bedrohung darstellen als Atommüll und die die Temperatur des Planeten erhöhen […]“, so die Bewegung in einem Statement.


In Österreich ist der Vorschlag auf geteilte Meinungen getroffen: Während die Klimaschutzministerin Leonore Gewessler von den Grünen eine Klage gegen die EU angekündigt hat, nimmt der EU-Kommissionsvertreter in Wien, Martin Selmeyr, ihr den Wind aus den Segeln. Die Klage werde naturgemäß abgewiesen werden, erklärte Selmeyr.


Reaktionen aus der Öffentlichkeit


Auch in Deutschland gibt es gemischte Ansichten. Die Bundesrepublik ist als energieintensives Land auf eine Übergangslösung angewiesen und setzt auf fossile Gaskraftwerke. Diese könnten später in Wasserstoffkraftwerke umgewandelt werden. Baden-Württembergs Umweltministerin von den Grünen, Thekla Walker, kritisierte das Vorhaben der EU-Kommission. Sie bezeichnete gegenüber mehreren Zeitungen die nachhaltige Etikettierung der Atomkraft als „aberwitzig“ und bezieht sich auf die volkswirtschaftlichen Kosten und das Risiko der Anlagen. Mit ihrer positiven Einstellung zu Gaskraftwerken als Übergangslösung trifft sie vor allem bei der FDP auf Zustimmung, die ihren Realitätssinn lobten.


In der Koalition sorgte der Vorschlag zur Taxonomie für Zündstoff: Klimaschutzminister Robert Habeck von den Grünen bewertet den Vorschlag zur Atomenergie als „nicht akzeptabel“, die Pläne für Gaskraftwerke als „fraglich“, so ein Bericht der Zeitung Die Welt. Lukas Köhler von der FDP unterstützt hingegen die Nutzung von Erdgas, während sich die SPD mit ihrer Meinung zurückhält. Einig ist sich die Koalition über die Pläne der Kernenergie, welche sie geschlossen ablehnt.


Bedeutung für Investoren


Zu Beginn des Jahres 2021 trat die EU-Offenlegungsverordnung in Kraft. Sie verpflichtet Anbieter von Finanzprodukten, die Nachhaltigkeit ihrer Produkte offenzulegen. Eingeteilt wird in Artikel 6, Artikel 8 und Artikel 9, wobei nach Artikel 9 eingestufte Produkte den höchsten Nachhaltigkeitswert besitzen. Ziel der Verordnung ist es, Greenwashing entgegenzuwirken. Um ihr Finanzprodukt als nachhaltig einstufen zu können, haben viele Asset-Manager die Atomkraft aus ihren Portfolios ausgeschlossen. Sollten die Pläne der EU umgesetzt werden, können Aktien aus der Nuklearenergie den Portfolios beigemischt werden, ohne dass sich etwas am Nachhaltigkeitsstatus ändert. Für Anleger heißt es also, bei der Auswahl der passenden Produkte doppelt aufzupassen – ob man Atomkraft nun selbst als nachhaltig einstuft oder nicht. Dennoch gibt es Fondsgesellschaften, die auf Atomkraft in ihren Portfolios verzichten wollen. Eine Orientierungshilfe ist das FNG-Siegel. Das FNG (Forum für nachhaltige Geldanlagen) vergibt das Siegel an Fonds, die ausschließlich in Unternehmen investieren, deren Umsätze aus maximal fünf Prozent Atomkraft und atomkraftnahen Feldern generiert werden.


Auch im Bereich der Beteiligungen beziehen manche Anbieter Stellung zu den Plänen der EU-Kommission. So engagiert sich beispielsweise reconcept mit der Unterzeichnung eines offenen Briefes an die EU-Kommission ganz klar für den weiteren Ausschluss von Atomkraft als nachhaltige Wirtschaftskraft. In einem Statement der Gesellschaft, die in den Ausbau Erneuerbarer-Energie-Anlagen investiert, heißt es dazu: „In der Diskussion um die Kategorisierung von Atomkraft als nachhaltige Wirtschaftsaktivität im Rahmen der Taxonomie sehen wir [...] das Risiko, die Glaubwürdigkeit der EU-Bemühungen zu Sustainable Finance zu gefährden.“ Anleger, die in reconcept-Angebote investiert sind, können sich also sicher sein, dass ihre Gelder auch künftig nicht in den Ausbau von Atomenergie fließen werden.


Passende Fonds zum Thema


Der Asset-Manager Ökoworld hat unlängst angekündigt, Atomkraft auch in Zukunft aus den Portfolios auszuschließen. Sein All-Cap-Aktienfonds ÖkoWorld ÖkoVision Classic (ISIN: LU0551476806) hält strikte ethisch-ökologische Kriterien ein, um einen angemessenen Wertzuwachs zu erreichen. Das Fondsvermögen wird in Unternehmen investiert, die sich auf umweltfreundliche Produkte, Nahrungsmittel und Dienstleistungen spezialisiert haben. Sie kommen unter anderem aus den Branchen der Medizintechnik und -ausrüstung, der Telekommunikation und Energiewirtschaft. Die Top-Titel des sparplan- und VL-fähigen Fonds kommen vom Logistikunternehmen A. P. Moller Maersk, dem Abfallwirtschaftskonzern Waste Management Inc. und der Kingspan Group, einem Anbieter für Dämmtechnologien. Die Nibe Group bietet nachhaltige Energielösungen an. Neben den positiven Klimafaktoren setzt das Management von Ökoworld auch auf die Faktoren Soziales und Unternehmensführung bei der Auswahl der Titel.


Mit dem FNG-Siegel – und drei von drei möglichen Sternen – ausgezeichnet ist beispielsweise der DNB Fund - Renewable Energy (ISIN: LU0302296149). Der sparplan- und VL-fähige Aktienfonds investiert in Titel, die von der Schaffung besserer Umweltbedingungen profitieren können. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Unternehmen aus den Bereichen der erneuerbaren Energien und der Ressourceneffizienz. Somit liegt der ESG-Fokus klar auf dem E für Environment. Aber auch Social- und Governance-Faktoren fließen in die Titelauswahl mit ein.


Ein weiterer FNG-zertifizierter Fonds ist der JSS Sustainable Equity - Europe (ISIN: LU0058891119). Der ausschüttende Large-Cap-Aktienfonds setzt auf ESG-Kriterien und Megatrends in der Nachhaltigkeit, um ein langfristiges Kapitalwachstum zu erreichen. Die Titel im Portfolio kommen aus ganz Europa, vor allem aus Großbritannien, Frankreich, der Schweiz und Deutschland. Das Portfolio deckt diverse Branchen ab, wie Finanzen, Gesundheit, Konsumgüter und Industrie. Die drei am stärksten gewichteten Titel des Portfolios stammen vom Halbleiterproduzenten ASML Holding, von LVMH Moët Hennesy Louis Vuitton und vom Softwarehersteller SAP. Der Fonds ist sparplan- und VL-fähig.