Zur Person: Matthias Sutter ist Managing Director am Max Planck Institute for Research on Collective Goods Bonn und lehrt an der Universität zu Köln und der Universität Innsbruck. Seine Forschung bezieht sich auf Experimentelle Wirtschaftsforschung und Verhaltensökonomik.


 


FondsDISCOUNT.de: Herr Professor Sutter, Ihre Spezialgebiete sind Experimentelle Wirtschaftsforschung und Verhaltensökonomik. Hierzu gleich unsere Eingangsfrage: Wie „ökonomisch“, sprich: rational, verhalten wir uns denn, wenn es um wichtige finanzielle Entscheidungen geht?


Matthias Sutter: Das hängt von der jeweiligen Person und von der genauen Definition von rationalem Entscheiden ab. Viele Menschen verwenden Daumenregeln für ihre Entscheidungen oder lassen sich von Entscheidungen anderer Personen beeinflussen. Ein typisches Beispiel für letzteres lässt sich beim Entstehen von Finanzmarktblasen beobachten, wenn stark steigende Preise viele andere Personen zum Kaufen veranlassen und dadurch die Werte von Finanzprodukten in schwindelerregende Höhen (wie kürzlich bei GameStop) steigen, die nicht mehr mit den Fundamentalwerten (also den tatsächlichen Ertragsmöglichkeiten) übereinstimmen.


Eigentlich sollte man doch annehmen, dass wir heutzutage mit all den Informationen, die uns zugänglich sind, sehr ausgewogen entscheiden können. Warum kommt es trotzdem zu irrationalem Verhalten, sei es beim Konsum oder an der Börse?


Wie das vorige Beispiel veranschaulicht, spielen Informationen nicht immer die entscheidende Rolle beim Entscheiden. Häufig werden wir beeinflusst vom Verhalten anderer, was ein ganz menschliches Phänomen ist. Man könnte auch sagen, die Psychologie spielt neben den Informationen eine wichtige Rolle. Hinzu kommt, dass Informationen nicht immer widerspruchsfrei sind. Das ewige Hin und Her der deutschen Gesundheitspolitik zur Einsetzbarkeit des Corona-Impfstoffs von Astra Zeneca ist ein gutes Beispiel dafür. Das widersprüchliche Informationen zu erratischen und damit wenig rationalen Entscheidungen führen können, ist leicht nachvollziehbar.


Ein Schlagwort in diesem Zusammenhang ist die finanzielle Bildung. Sie haben bereits vor etwa drei Jahren im Rahmen eines Schulprojekts in Nordrhein-Westfalen untersucht, inwiefern der vermittelte Schulstoff im Bereich Wirtschaft das ökonomische Entscheidungsverhalten beeinflusst. Mögen Sie uns das Projekt kurz erklären?


Wir haben für mehrere Schulen acht Unterrichtseinheiten zu finanzieller Grundbildung entworfen, die dann von den jeweiligen Lehrern in den Bereichen Wirtschafts- und Sozialkunde unterrichtet wurden. Die Inhalte dieser Einheiten betrafen etwa Kaufkraftentwicklungen aufgrund von Inflationen, Kreditratenbelastungen durch Zinseszinseffekte oder Risikostreuung durch ein breites Aktienportfolio. Bei solchen Themen schneidet die breite deutsche Öffentlichkeit in diversen Tests meist ziemlich schlecht ab und sie kommen in der Schule üblicherweise zu kurz.


Und was waren die zentralen Ergebnisse?


Wir konnten zeigen, dass das Unterrichten von finanzieller Grundbildung – im Vergleich zum normalen Lehrplan in diesen Fächern mit anderen Inhalten, etwa zur Geldpolitik – die Schülerinnen und Schüler in ökonomischen Experimenten geduldiger und leicht risikoscheuer macht. Vor allem der erste Effekt auf die Geduld, der bis zu neun Monate nach der Unterrichtsintervention messbar war, ist sehr bedeutsam, weil ein höheres Maß an Geduld für den weiteren Lebensweg im Regelfall vorteilhaft für die weitere Ausbildung, die berufliche Karriere und die eigene Gesundheit ist, wie ich etwa in meinem Buch „Die Entdeckung der Geduld“ zeige.


Was muss sich aus ihrer Sicht in den Lehrplänen ändern, damit man später eben keine teuren Kredite oder schlecht rentierende Altersvorsorgeverträge abschließt bzw. brauchen wir hierzu ein eigenes Unterrichtsfach?


Als Volkswirt würde ich mir ein eigenes Schulfach dazu wünschen. Baden-Württemberg hat ja diesen Weg eingeschlagen und ich bin optimistisch, dass das für die finanzielle Grundkompetenz von jungen Menschen sehr vorteilhaft sein wird. Es gibt da im Bundesgebiet aber sicher noch viel mehr zu tun. Auch in bestehenden Fächern kann man Praxisrelevanz noch stärker hervorheben. Zum Beispiel wird Zinseszinsrechnung in Mathematik behandelt, aber nach meiner Erfahrung gelingt es oft nicht, die Praxisrelevanz (etwa für Konsumentenkredite oder Ratenzahlungen) gut zu vermitteln.


Ist man automatisch risikobereiter – oder zugespitzt formuliert: leichtsinniger –, wenn das finanzielle Basiswissen fehlt?


Ich würde unter keinen Umständen sagen, dass das automatisch der Fall ist. Aber viele empirische Studien zeigen, dass fehlendes finanzielles Basiswissen zu schlechteren Entscheidungen (etwa dem vorzeitigen Verkauf von Versicherungen oder zu geringer Streuung von Vermögenswerten) führt.


Die Zahl der Aktionäre ist seit der Pandemie stark gestiegen. Mehr waren es nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts zuletzt lediglich im Zuge des Börsenbooms 2001. Damals haben sich bekanntlich viele die Finger verbrannt. Meinen Sie also, die gegenwärtige Euphorie an den Kapitalmärkten ist gemäß Ihrer Forschungsdisziplin eher unvernünftig?


Im internationalen Vergleich gibt es in Deutschland relativ wenig Aktienbesitz. Insofern ist die aktuelle Entwicklung grundsätzlich zu begrüßen. Jedoch kann erst mit einiger Verzögerung gesagt werden, ob sich die Investitionen während der Pandemie ausgezahlt haben oder nicht.


Wenn man nun bereits aus dem Schulalter herausgewachsen ist und sich als Erwachsener eigenverantwortlich um seine finanzielle Vorsorge kümmern möchte: Wozu würden Sie ganz allgemein gesprochen raten? Wo sollte man sich informieren und wie gelingt eine gute Entscheidung?


Allgemein gesprochen würde ich jedem raten, viele Informationen von verschiedenen Seiten einzuholen, sie auch kritisch zu hinterfragen und dann erst zu entscheiden. Üblicherweise können einem bei finanziellen Fragen Berater helfen, weil man als Einzelperson meist über weniger Erfahrung bei finanziellen Entscheidungen (wer kauft schon mehrere Häuser in seinem Leben zum Beispiel?) verfügt. Jedoch darf man dabei nie vergessen, dass Berater auch Eigeninteressen haben. Eines meiner Forschungsgebiete beschäftigt sich mit den Problemen, wenn Berater mehr Wissen haben als die zu beratende Person, und welche fehlerhaften Anreize daraus entstehen können. Eine kürzlich abgeschlossene Arbeit zeigt zum Beispiel, dass es sich in solchen Situationen üblicherweise lohnt, eine zweite Meinung einzuholen. Das könnte also ein genereller Ratschlag für bessere Entscheidungen sein.


Herr Professor Sutter, vielen Dank für diese Einblicke!