FondsDISCOUNT.de: Herr Otte, Ihr Unternehmen Privatinvestor Kapitalanlage kann seit dem 1. Juli 2020 als vollwertiger Portfolioverwalter agieren. Wie fühlt sich die Arbeit ohne Haftungsdach an?
Max Otte: Wir freuen uns, dass wir damit professioneller Vermögensverwalter geworden sind. In der täglichen Arbeit ändert sich zunächst einmal nicht so viel. Wir haben ja schon immer sämtliche Anlagevorschläge selbst recherchiert und kaufen keinerlei fremdes Research zu. Die darüber geschalteten Vermögensverwalter sind nur im Falle von seltenen Grenzverletzungen eingeschritten, wenn eine Position zu groß wurde. Das machen wir nun eigenständig.
Können auch Ihre Anleger von dem „Mehr an Freiheit“ profitieren?
Mittelfristig auf jeden Fall. Wir stellen unsere sieben Fonds schrittweise um. Die Wege werden kürzer, und uns bleibt mehr Netto vom Brutto. Das werden wir in unser Research und Team investieren.
Kommen wir zu Ihren Publikumsfonds: Der Max Otte Vermögensbildungsfonds (ISIN: DE000A1J3AM3) und der PI Global Value Fund (ISIN: LI0034492384), sind – wie die meisten anderen Aktien- und Mischfonds auch – im Zuge der Corona Krise deutlich gefallen. Mittlerweile haben sie sich wieder sehr gut erholt. Welche Maßnahmen hatten Sie zu dem Zeitpunkt getroffen?
Seit Januar 2018 hatten wir die Cashquote erhöht. Ich war der einzige, der auf dem Fondskongress sehr deutlich gesagt hat, dass ich nun vorsichtiger werde. 2019 waren es schon mehr. Wir sind mit ca. 25 Prozent Liquidität in die Krise. Für uns ist das viel, da wir ein wachstumsorientierter Mischfonds sind und gerne auch 100 Prozent Aktienquote fahren, wenn sich die Gelegenheit bietet.
Ich gelte bei manchen als „Crashprophet“, aber ich bin Bulle. Ich habe mir die Mühe gemacht, meine öffentlichen Aussagen der letzten 15 Jahre zu analysieren: mehr als 80 Prozent sind bullish. Unser Fonds ist also wachstumsorientiert. Im Zuge des Corona-Crashs haben wir unsere Liquidität investiert. Wie fast immer lagen wir etwas VOR der Kurve, waren also Anfang April bereits voll investiert. Wir haben also einen Teil des Abschwungs mitgemacht, waren aber im Aufschwung voll dabei.
Welche Aktien sind Ihre Evergreens in den Portfolios? Welche Neuentdeckungen haben Sie aktuell gemacht?
Die großen Technologiewerte wie Alphabet laufen seit Jahren fast nur in eine Richtung. Sie sind zwar sportlich bewertet, aber nicht im Blasenterritorium. Microsoft hatte zum Beispiel im Jahr 2000 ein KGV von 100. Heute ist es unter 40. Teuer, aber nicht extrem. Unser mittelständisches Softwareunternehmen Atoss AG fährt einen Rekord nach dem anderen ein. Barrick Gold, die wir schon lange halten, steigt im Zuge der Goldrenaissance rasant.
Bei den Neuentdeckungen sind wir mit der Online-Apotheke Zur Rose AG, die auch Doc Morris besitzt, gut gefahren. Oder mit Flow Traders, einer Handelsplattform für Wertpapiere. Diese Aktie hatten wir bewusst als konträren Hedge gekauft, weil das Unternehmen mehr verdient, wenn die Volatilität steigt.
Im April waren Sie laut Ihren Aussagen voll investiert. Haben Sie mittlerweile die Cashquote angepasst?
Wir sind immer noch voll investiert, weil wir an unsere Titel glauben. Es kann aber sein, dass wir in den nächsten Wochen, je nach weiterer Entwicklung, wieder Liquidität aufbauen.
Dem zweiten Halbjahr 2020 stehen fixe als auch mögliche Ereignisse bevor, die Einfluss auf die Märkte haben können – Stichwort: Präsidentschaftswahl in den USA, Stichwort: zweite Welle. Haben Sie diese Ereignisse in Ihre Investmententscheidungen eingepreist?
Wir befinden uns in einem Moment extremer Umbrüche. Die Schulden der Staaten werden um mindestens zwanzig bis dreißig Prozent explodieren – und das von einem bereits hohen Niveau. Dazu kommen gigantische Konjunktur- und Ausgabenprogramme. In einer solchen finanziellen Kernschmelze können Asset-Preise verrückt spielen und sich in jede Richtung bewegen. Im Zweifel sind uns dabei Sachwerte (Real Assets) wie Aktien und Gold lieber.
Wie schätzen Sie das ein: Wird sich der Rattenschwanz der Corona-Krise auf die Märkte über mehrere Jahre auswirken?
Die Auswirkungen werden beträchtlich sein. Unternehmen wie Lufthansa oder der Mall-Betreiber Simon Property werden die Mindereinnahmen über Jahre verdauen müssen.
Dabei sind die strukturellen Folgen für die Wirtschaft die weitaus bedeutenderen: Corona ist ein Förderprogramm für internetaffine Unternehmen wie Google, Microsoft und andere. Gleichzeitig belasten die Maßnahmen den Mittelstand und Unternehmen der Realwirtschaft sehr. So unschön ich die Auswirkungen finde, werden wir das in unserem Portfolio berücksichtigen müssen.
Herr Otte, wir danken Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Zur Person: Max Otte ist Gründer des Instituts für Vermögensentwicklung und Fondsmanager. 2006 gelang ihm mit »Der Crash kommt« ein Bestseller. Im vergangenen Jahr legte der Ökonom mit dem Titel "Weltsystem-Crash. Krisen, Unruhen und die Geburt einer neuen Weltordnung" nach (FinanzBuch Verlag, 640 Seiten, 24,99 Euro, ISBN: 978-3-95972-282-7).