Stolpernd nach vorn beim Klimaschutz


Sie hat es wahrlich nicht leicht, die Ampelkoalition. Mit viel Energie und Hoffnung für die Zukunft startete der Zusammenschluss aus SPD, FDP und Grünen in seine erste Legislaturperiode. Mit der Pandemie im Hintergrund begann die Koalition unter dem selbsternannten Klimakanzler im Dezember 2021 ihre Regierungsgeschäfte. Am Anfang von Scholz’ Amtszeit wurden Nägel mit Köpfen gemacht: Ein Paket von 60 Milliarden Euro wurde für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Digitalisierung auf den Weg gebracht. Robert Habeck von den Grünen, Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, kündigte an, dass es keine „Sonntagsreden“ mehr zum Klimawandel geben würde und dass ein wirksamer Klimaschutz „nicht ohne Zumutungen“ vonstattengehen könne.


Der Krieg in der Ukraine hat indes die ehrgeizigen Pläne über den Haufen geworfen und die „Zumutungen“ vermutlich schneller eintreten lassen als angenommen. Die Ampelkoalition sieht sich plötzlich mit Gasknappheit und steigenden Energiepreisen konfrontiert. Die veränderte Situation lässt ganz Europa in Sachen Atomkraft umdenken. In der Ampel hat der Krieg vor allem bei den Grünen für eine Kehrtwende in vielen Punkten gesorgt: Mit Kohle als Energielieferant, Flüssiggasterminals an den Küsten und Waffenlieferungen an die Ukraine betritt die eigentliche Öko- und Friedenspartei Neuland, wie die Stuttgarter Nachrichten berichten. So schnürte die Bundesregierung ein Paket von 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr. Auch in Sachen Atomkraft, lenkten die Grünen angesichts der aktuellen Situation ein: Das einst geplante Ende des Atomstroms für Ende 2022 wird aufs Frühjahr 2023 verschoben. Die letzten drei Atommeiler Deutschlands bleiben bis April 2023 am Netz. Robert Habeck forderte zunächst, dass zwei der drei restlichen Atommeiler im Reservebetrieb noch bis April 2023 laufen dürfen. Nachdem Olaf Scholz ein Machtwort gesprochen hatte, laufen alle drei Kraftwerke im Streckbetrieb weiter, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet.


9 Euro für den öffentlichen Nahverkehr


In ihrem Koalitionsvertrag verspricht die Ampelkoalition einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sowie die Modernisierung der Deutschen Bahn. Durch die explodierenden Energiepreise brachte das Kabinett um Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD im Sommer 2022 ein 9-Euro-Ticket auf den Weg. Das Ticket war als günstige Monatskarte gedacht, um Vielfahrer finanziell zu entlasten und mehr Menschen für den ÖPNV zu interessieren. Es war vom 1. Juni bis zum 31. August erhältlich und mit 52 Millionen verkauften Fahrscheinen ein voller Erfolg. Wie die Verkehrsunternehmen berichten, hatte das Ticket einen positiven Effekt: 17 Prozent der Kunden seien auf den ÖPNV umgestiegen, zehn Prozent verzichteten dank des Tickets auf durchschnittlich eine Fahrt täglich mit dem PKW. Genutzt wurde das Angebot für Freizeitfahrten und Erledigungen sowie für die Fahrt zur Arbeit.


Die Schattenseite dieses Erfolges zeigt sich nun im Ringen um ein entsprechendes Nachfolgeangebot. Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP arbeite mit seinem Team an einer Alternative, so t-online.de. Der Plan sehe dafür ein Entlastungspaket des Bundes von 1,5 Milliarden Euro jährlich für den öffentlichen Nahverkehr vor. Allerdings müssten die Länder den gleichen Betrag aufbringen. Mittlerweile haben sich die Beteiligten auf ein 49-Euro-Ticket geeinigt, das ab 2023 zur Verfügung stehen soll. Knackpunkt ist bislang die Finanzierung. Bund und Länder hatten zwar vereinbart, jeweils 1,5 Milliarden Euro zuzuschießen, die Länder verlangen jedoch einen höheren jährlichen Zuschuss des Bundes für den ÖPNV allgemein.


Legal oder nicht legal, das ist hier die Frage


Ein weiterer Meilenstein der Ampelkoalition sollte die Legalisierung von Cannabis werden. Vertraut man den Worten von Finanzminister Lindner, so soll der Konsum der berauschenden Pflanze bereits 2023 hierzulande legal werden. Dies gab er bei einer FDP-Veranstaltung im niedersächsischen Oldenburg bekannt, wie der Berliner Kurier berichtet. Cannabis ist auch an der Börse ein interessantes Thema. Es gibt eigene Cannabis-Fonds, die von einer Legalisierung profitieren würden. Bis es allerdings so weit ist, müssen noch Hürden überwunden werden. So erklärten einige Experten des Bundestags, dass die Legalisierung gegen geltendes EU-Recht verstoße. Als Vorbereitung für das Gesetz seien aktuell Mitarbeiter des Gesundheitsausschusses in den USA und in Kanada. Die dortige Legalisierung von Cannabis könnte als Vorbild für das deutsche Gesetz genutzt werden. Als Vorteile einer Legalisierung werden unter anderem die Entkriminalisierung (welche auch den deutschen Staatshaushalt entlasten würde) und die Steuereinnahmen, die aus der „kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken“ resultieren könnten, genannt. Eine Legalisierung nach niederländischem Vorbild sei in Deutschland allerdings nicht denkbar, so einige Experten des Wissenschaftlichen Dienstes. Dort seien lediglich der Verkauf und Besitz kleiner Mengen geduldet – Anbau sowie Verkauf und Besitz größerer Mengen sei verboten. Wie eine Legalisierung in Deutschland real aussieht, wird die Zeit zeigen.


Auf dem Weg ins digitale Zeitalter


Für die Digitalisierung hatte sich die Bundesregierung ähnlich viel vorgenommen wie für den Klimaschutz. Das 60-Milliarden-Paket der Koalition umfasste beide Punkte. Allen voran der Verwaltungsapparat sollte digital auf Vordermann gebracht werden. Während in anderen EU-Ländern vieles von zu Hause aus erledigt werden könne, müssen Deutschlands Bürger weiterhin persönlich im Amt erscheinen, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Dafür gehen wertvolle Lebenszeit und freie Tage drauf. Eine Umfrage der Unternehmensberatung BCG und des Centers for Digital Governance ergab jüngst, dass zumindest die Hälfte der Führungskräfte im Öffentlichen Dienst mit dem digitalen Fortschritt zufrieden sei. 52 Prozent hielten die Digitalisierung in ihren Sektoren für „gut ausgeprägt“, wie der Spiegel berichtet. 63 Prozent erklärten, eine Digitalisierungsstrategie zu haben. Doch scheint es, als ob es in Sachen Digitalisierung noch Luft nach oben gäbe. Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing von der FDP sprach jüngst von einem „umfassenden digitalen Aufbruch“, den Deutschland brauche. Als Eckpunkte nannte Wissing das Ummelden des Wohnsitzes, die Antragstellung für einen Personalausweis sowie die Anmeldung eines Unternehmens. Diese Dinge sollten bis 2025 von zu Hause aus machbar sein. Außerdem sollten sowohl Personalausweis als auch Führerschein auf dem Smartphone verfügbar sein, wie das Online-Nachrichtenmagazin merkur.de schreibt. Bis 2026 soll zudem das mobile Datennetz die Nutzer flächendeckend mit Internet versorgen.


Krisenmanagement statt Fortschritt?


Der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition liest sich ambitioniert und fortschrittlich. Vor allem der Beginn der Regierungsgeschäfte der Ampel zeichnete sich durch eine „Nägel-mit-Köpfen-Mentalität“ aus, wie das frühzeitig verabschiedete Finanzierungspaket für Klimaschutz und Digitalisierung zeigt. Dennoch halten die Folgen der immer noch anhaltenden Corona-Pandemie, die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise sowie die Zinswende und hohe Inflation die Regierung fest im Griff. Um die hohen Energiepreise im Zaum zu halten, hat der Bund zuletzt den Gaskonzern Uniper übernommen. Die Verstaatlichung sorgte zunächst für einen Kurssturz der Aktie, die sich nun jedoch erholt. Als Mittel gegen die hohen Gasrechnungen hat die Ampel eine Gaspreisbremse beschlossen.