Eine der wichtigsten Grundregeln für Investoren lautet: Nicht alles auf eine Karte setzen! Genau das hat die britische Premierministerin Theresa May versucht. „Der Schuss ging nach hinten los“ und „Theresa May hat sich verzockt“, lauten nun die Schlagzeilen der britischen Medien nach der Wahl in Großbritannien am Donnerstag. Die Premierministerin scheitert mit ihrem Versuch, nach Neuwahlen gestärkt in die Brexit-Verhandlungen mit der EU zu gehen. Mit nur 318 sitzen hat die Konservative Partei der Ministerin die absolute Mehrheit im Parlament deutlich verpasst (326).

„Wir stehen eindeutig vor einer Periode großer Ungewissheit und schon in zehn Tagen sollen die Verhandlungen für den Brexit beginnen. Hier ist die Verhandlungsposition der Briten nun deutlich geschwächt“, kommentiert Mark Phelps, Portfoliomanager des Global Concentrated Growth (ISIN: LU1011997381) Fonds beim Asset Manager AB (AllianceBernstein) in London. Die unmittelbaren Auswirkungen des Ergebnisses dürften an den Devisenmärkten gesehen werden, wo die Ungewissheit auf den Kurs des Pfund drückt, so Phelps weiter. „Wenn es nicht zu einer verstärkten Zusammenarbeit im Parlament kommt, könnte politischer Stillstand die Folge sein.“

Doch das muss nicht sein. Der FT zufolge will Theresa May eine Koalition mit den konservativen „Hardlinern“ der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) eingehen, die den Austritt aus der EU befürwortet und eine harte Verhandlungslinie gegenüber der EU unterstützen könnte.

Doch generell gilt: Keine Panik! Der Wahlausgang im Vereinigten Königreich ist aus mehreren Gründen kein Weltuntergang. Die politischen Risiken haben im Jahr 2017 nach der Frankreich-Wahl stark abgenommen. Die Chancen auf eine Fortsetzung des Aufschwungs stehen nicht schlecht. „Wenn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an diesem Wochenende eine klare Mehrheit in der Nationalversammlung erhält und in der Lage ist, eine bedeutende Reformagenda zu beginnen, würde dies von den Märkten sehr positiv aufgenommen. Das wäre für das europäische Wachstum wahrscheinlich wichtiger als die britische Wahl“, so Phelps.

„Buy the dip“ statt „Kapitalflucht“
„Auch die ersten Marktreaktionen auf das EU-Referendum und die US-Wahl waren nur von kurzer Dauer“, sagt Richard Colwell, Leiter für britische Aktien bei der Fondsgesellschaft Columbia Threadneedle Investments. Der britische Markt gehöre schon seit einiger Zeit nicht mehr zu den Favoriten internationaler Anleger: „Die Investitionen in britische Aktien liegen genauso niedrig wie im Jahr 2008, auf dem Höhepunkt der Bankenkrise. Daher gibt es keinen Anlass für eine Kapitalflucht. An der Unterbewertung gegenüber anderen Aktienmärkten, insbesondere dem US- aber auch dem europäischen Markt, hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert“, so Colwell.



Die europäische Konjunktur bessert sich bereits: Das Wachstum für das erste Quartal musste gemäß Eurostat nach oben korrigiert werden und wächst so stark wie zuletzt vor zwei Jahren. Die Politik ist nicht länger der wichtigste Maßstab für Investitionsentscheidungen der Anleger. Natürlich steigt die Wahrscheinlichkeit eines Rücksetzers an den Märkten nach einer Kursrallye von nun genau sieben Monaten. Doch anscheinend gibt es noch genügend Liquidität und Unterstützung im Markt, was sich an der niedrigen Volatilität in den letzten Wochen äußert: „Die Volatilität wird gedämpft von Investoren, die in den Phasen der Drawdowns in den Markt einsteigen“, sagt Stephen Jones, Chief Investment Officer beim schottischen Asset Manager Kames Capital am Tag der Wahl. An den Märkten nennt man so eine Strategie „buy the dip“, wenn Investoren zu vermeintlich niedrigen Preisen in einen Aufwärtstrend einsteigen wollen.

Wann die nächste große Korrektur an den Märkten erfolgt, kann niemand sagen. Es sei auch denkbar, dass die Kurse noch einige Zeit weiter steigen werden, so Jones. Die Fundamentaldaten rücken wieder in den Vordergrund, die Gewinnmeldungen der Unternehmen seien solide. Das nächste echte politische Risiko komme Jones zufolge erst im zweiten Halbjahr 2018 mit der Parlamentswahl in Italien. Zu dem Zeitpunkt könnte auch die EZB von ihrer expansiven Geldpolitik Abstand gewinnen.

Derzeit sieht es danach jedoch nicht aus. EZB-Chef Mario Draghi ist noch nicht davon überzeugt, dass sich die Inflation nachhaltig in Richtung der angestrebten zwei Prozent Schwelle bewegt. Reuters zufolge will die EZB auch weitere Zinssenkungen nicht ausschließen.

Trotz der zahlreichen politischen Wahlen in diesem Jahr sind das gute Vorzeichen für wirtschaftlichen Stimulus und auch steigende Aktienkurse.