„Sell in May and go away – but remember to come back in September“: Die bekannte Börsenweisheit basiert auf dem Umstand, dass der Aktienmarkt in den Sommermonaten meist schlechter läuft, als im Rest des Jahres. Im vergangenen Jahr beispielsweise büßte der Dax von Anfang Mai bis Ende September mehr als 18 Prozent an Wert ein, stieg dann aber im November wieder um fast 29 Prozent – die Börsenregel hatte also Recht. In diesem Jahr sieht es nach Einschätzung von Robert Halver jedoch anders aus, der Mai-Effekt dürfte nicht allzu sehr ins Gewicht fallen. Denn von Januar bis April gab es keine Hausse, von der man jetzt mögliche Gewinne mitnehmen könnte.

Stattdessen verweist der Kapitalmarktexperte auf handfeste Herausforderungen, mit denen die Märkte konfrontiert sind. Zum einen ist dies die Brexit-Frage, zum anderen belastet der starke Euro mit einem Kurs von über 1,16 die Exporte. Doch ganz so düster sehe es in der Gesamtschau nicht aus. Die großen Problemfelder, die das erste Quartal noch stark belastet hatten, seien inzwischen weitgehend ausgeräumt worden: Chinas Wirtschaft habe sich wieder etwas erholt, beim Ölpreis zeichne sich eine Stabilisierung ab und die befürchtete Zinswende in den USA scheint erst einmal auszubleiben – Halver zufolge dürfte die Fed die Füße weiter stillhalten und der Wirtschaft Zeit für eine Erholung geben, bis die Brexit-Frage geklärt sei.

In Europa sei die Konjunktur allerdings weiterhin angeschlagen und die EZB bleibe in der Zwangslage, den Markt weiter stützen zu müssen. So dürfte die Wirtschaftsleistung im Euroraum laut aktueller Frühjahrsprognose der Europäischen Kommission etwas schwächer ausfallen, als noch in der Wintervorausschau prognostiziert wurde. Für die EU werden demnach statt einem BIP von 1,9 Prozent nun nur noch 1,8 Prozent für das laufende Jahr erwartet. In der Eurozone zeigt sich ein vergleichbares Bild: Für 2016 war noch ein Zuwachs von 1,7 Prozent und für 2017 ein Plus von 1,9 Prozent vorhergesagt, nun sind es in der Frühjahrsprognose lediglich 1,6 Prozent für das laufende Jahr und 1,8 Prozent für 2017. Vor allem die massive Verschuldung der Euro-Staaten sieht Halver als Problem. „Wenn wir so weitermachen, fahren wir die Eurozone mit Lichtgeschwindigkeit an die Wand“, betont der Finanzexperte.

Nichtsdestotrotz, so Halver im Interview, würden einzelne Unternehmen wie etwa BMW an ihren Jahresprognosen festhalten. Für Anleger könnte auch das Thema Gold zunehmend interessant sein: Der derzeitige Goldpreis von rund 1.300 Dollar müsste Halver zufolge eigentlich „viel viel höher sein“. Denn alle Argumente sprächen für das Edelmetall: Überschuldung, Niedrigzinsen, schlechte Bonität in der Eurozone. Die Notenbanken jedoch wüssten, ein dramatisch steigender Goldpreis würde das Vertrauen in die Papierwährung schwächen. Daher würde der Goldpreis über die Derivatemärkte von den Notenbanken niedrig gehalten. Halver ist sich jedoch sicher: Solange die Notenbanken weiterhin selbst Gold kaufen, kann daran nichts verkehrt sein – etwas Gold im Depot könne daher auch für Anleger ratsam sein.